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Der dritte Weg auf Französisch

Es ist eine Bilderbuchkarriere, wie sie der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hingelegt hat. Der Sohn einer Ärztin und eines Medizinprofessors ist ein Musterbeispiel für jenes französische Phänomen, dass Pierre Bourdieu in seinem Buch »Der Staatsadel« analysiert hat: Die Reproduktion der ökonomischen und politischen Eliten des Landes und ihre Vernetzung, welche aufgrund der spezifischen Form ihrer Ausbildung sowie aufgrund der hohen Mobilität innerhalb des Staates sowie zwischen dem Staat und privatwirtschaftlichen Unternehmen entstehen. Der Lebenslauf von Emmanuel Macron ist für diese Art der Reproduktion exemplarisch: Studium an den beiden renommierten Eliteschulen SciencePo und ENA, kurze Mitarbeit im einflussreichen und sozialliberalen Think Tank »Institute Montaigne« und dann vier Jahre bei der Bank Rothschild als Investmentbanker. Danach Berater des Präsidenten in Wirtschafts- und Finanzfragen und letztendlich seit 2014 Wirtschaftsminister unter Manuel Valls.

Er gilt als Kopf der neoliberalen Wende der sozialistischen Regierung und verantwortet viele der angebotspolitischen Reformprojekte unter Francois Hollande. Sowohl der sogenannte Verantwortungspakt, der die Unternehmen von Abgaben in Höhe von 30 Milliarden Euro pro Jahr erleichterte (das sog. CICE-Programm) als auch das Loi Macron, welches eine Flexibilisierung des Kündigungsschutzes sowie eine Lockerung der Nacht- und Sonntagsarbeit vorsieht, gehen auf das Engagement des damaligen Präsidentschaftsberaters und heutigen Wirtschaftsministers zurück. Auch Teilen der umstrittenen Arbeitsrechtsreform Loi El Khomri sind durch das Wirtschaftsministerium und auf Initiative von Emmanuel Macron zustande gekommen. Nicht ohne Grund kam der Präsident des größten französischen Unternehmensverbandes MEDEF bei der Ernennung Macrons zum Wirtschaftsminister ins Schwärmen: »Anders als sein Vorgänger kennt Macron die Unternehmen, er kennt die Marktwirtschaft und er kennt die Globalisierung.«

Erst Präsidentschaftsberater, bald Präsident?

Obwohl Emmanuel Macron von Francois Hollande gefördert wurde, ist er nie in die sozialistische Partei eingetreten. Seine Bindung an die Sozialistische Partei ergibt sich nicht aus seiner Weltanschauung, sondern vielmehr aus der spezifischen Konfiguration seiner (Karriere-)Netzwerke. Nicht unbegründet wurde Emmanuel Macron in Anlehnung an die Theorie des marxistischen Theoretikers Antonio Gramsci »als organischer Intellektueller des transnational agierenden Kapitals« (Syrovatka 2016: 185) bezeichnet, blieb er in der Zeit als Wirtschaftsminister doch vor allem den großen französischen Unternehmen verpflichtet. Diese Unabhängigkeit von der sozialistischen Partei verschaffte ihm in der Vergangenheit viel Beinfreit in der politischen Gestaltung seines Amtes, zugleich konnte er damit auf Distanz zu Manuel Valls und Francois Holland bleiben.

Nun hat der französische Wirtschaftsminister angekündigt, bei den Präsidentschaftswahlen 2017 antreten zu wollen. In der Vergangenheit hatten viele BeobachterInnen einen solchen Schritt erwartet, auch wenn Macron eine Kandidatur immer beharrlich bestritten hatte. Doch schon die Gründung der Bewegungsplattform »En Marche!« im April dieses Jahres war ein deutliches Zeichen für einen solchen Schritt. Eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen wäre die Krönung seiner Bilderbuchkarriere und zugleich ist sie die womöglich größte Chance nach den Präsidentschaftswahlen nicht zusammen mit seinem politischen Förderer Francois Hollande in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die voll auf Macron zugeschnittene »Bewegung« scheint nun das Sprungbrett zu sein, um das sinkende Schiff noch frühzeitig verlassen zu können.

Der dritte Weg

Dabei ist das politische Programm von »En Marche!« bisher noch sehr dünn und wenig konkret. Im Aufruf der Bewegungsplattform stehen vor allem Allgemeinplätze, die auf eine angebotspolitische Wirtschaftspolitik hindeuten, welche von der sozialdemokratischen Reformpolitik des »Dritten Wegs« (Giddens 1999) der 1990er Jahre inspiriert ist. So wird viel von »Blockaden«, »Ohnmacht« und »kollektiver Unfähigkeit« in dem Aufruf gesprochen und eine »Neugründung des Landes und seiner Institutionen« gefordert. Vieles erinnert an die Idee des »Fordern und Fördern« wie sie Gerhard Schröder mit der Agenda2010 verfolgt hat. So wird gleich in der Einleitung diejenigen als Realitätsverweigerer kritisiert, die am Status quo in der Arbeitsmarktpolitik festhalten wollen, obwohl »eine Vielzahl unserer Landsleute […] heute gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben«. So meint das sehr professionell gestaltete Werbevideo mit den »Privilegien einzelner auf Kosten von Millionen anderer« auch nicht die Steuer- und Abgabenprivilegien der Unternehmen und Reichen, sondern vielmehr die besonderen Arbeitsrechtsvorschriften und Sozialsysteme für die Bediensteten in ehemaligen Staatsbetrieben oder den Kündigungsschutz und die unbefristeten Arbeitsverträge älterer Arbeitnehmer.

Die Bewegung wird ganz im Sinne des »dritten Weges auch nicht als links oder rechts charakterisiert, sondern als Dritte Kraft«, wie es Macron in seiner Rede auf dem ersten zentralen Treffen der Bewegungsplattform nannte. Man definiere sich nicht über die politische Landschaft heißt es etwa in dem Aufruf, sondern über drei gemeinsame Werte: »Emanzipation durch Arbeit«, dem »Substrat aus Freiheit und Gerechtigkeit« sowie der »innigen und zugleich anspruchsvollen Liebe zu Europa.«

Abseits dieser allgemeinen inhaltlichen Positionen schein »En Marche!« jedoch vielmehr in erster Line das Fundament für die weitere politische Karriere von Emmanuel Macron zu sein. Der Pseudo-Bewegungscharakter von »En Marche!« sowie die fehlende, in Frankreich aber historisch-notwendige, politische Einordung muss zum einen als wahltaktische Reaktion auf die tiefe französische Hegemoniekrise (Syrovatka 2015) verstanden werden. Zum anderen hält sich Macron damit die Möglichkeit offen auch an künftigen Regierungen teilzuhaben. Mit diesem Programm könnte er ebenso auch Wirtschaftsminister einer konservativen Regierung sein, ohne dass dies zu großen Konflikten führen würde. Vielmehr zeigen sich gerade in der Person Macron die machtvollen staatsbürokratischen und ökonomischen Netzwerke, zu welchen Macron seit seiner Ausbildung gehört und welche unabhängig von den beiden Staatsparteien existieren. Denn während Emmanuel Macron in seinem Aufruf für »En Marche!« vorgibt die politische Krise in Frankreich bekämpfen zu wollen, ist er vielmehr selbst Ausdruck ebenjener Krise. Erst die inhaltliche Annährung der beiden Staatsparteien PS und Les Republican und ihre Wandlung in »bloße Kanäle der Popularisierung und Propagierung einer staatlichen Politik, die zum großen Teil außerhalb von ihnen entschieden wird« (Poulantzas 2002: 169) macht einen solchen Politikertypus wie Emmanuel Macron möglich.

Literatur

Giddens, Antony (1999): Der dritte Weg. Erneuerung der sozialen Demokratie. Frankfurt/Main.

Poulantzas, Nicos (2002): Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, autoritärer Etatismus. Hamburg.

Syrovatka, Felix (2016): Die Reformpolitik Frankreichs in der Krise. Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik vor dem Hintergrund europäischer Krisenbearbeitung. Wiesbaden.

Syrovatka, Felix (2015): Der Aufstieg der Madame Le Pen. Die Strategie der Front National im Europawahlkampf 2014. In: PROKLA 180 (Die politische Krise in Europa und die Reorganisation der bürgerlichen Kräfte), 45.Jg., H.3, S. 387 – 409.

Bildquelle: Ecole polytechnique Université Paris-Saclay/ Flickr. Der Artikel erschien am 20.07.2016 auf dem OXI-Blog.