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Digitale Diskussionsveranstaltung zur EU

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MITTWOCH, 6. MAI 2020, 16.00  – 17.00 UHR
ZUR KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE DER EU IN DER CORONA-KRISE

Mit Inputs von Felix Syrovatka (Universität Tübingen) und Angela Wigger (Radboud University, Nijmegen). Moderation: Tobias Boos (Universität Wien)

Die Corona-Pandemie entwickelt sich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise. In der EU droht eine Wiederholung der Eurokrise, denn die Eurozone ist heute noch fragiler als 2008ff. In Südeuropa wurde die Krise bis heute nicht überwunden, die institutionelle Reform der Architektur der Währungsunion war in den vergangenen Jahren blockiert. Mit Italien steht nun jenes Land im Fokus, in dem sich bereits vor der Corona-Pandemie die Widersprüche der ungleichen Entwicklung in Europa kumuliert und verdichtet haben. 

Felix Syrovatka diskutiert vor diesem Hintergrund Gefahren und Chancen, die auf progressive Akteure angesichts einer neuen Eurokrise zukommen könnten. Angela Wigger untersucht in ihrem Vortrag die Umverteilung von Steuergeldern im Zuge der Corona-Krise und deren gesellschaftliche Folgen. Die Not-Staatsbeihilfen umfassen schon jetzt gute zehn Prozent des Bruttosozialprodukts in der EU. Sie vergleicht die gegenwärtigen Maßnahmen mit dem austeritätspolitischen Krisenmanagement der EU in den Jahren 2008ff. und erörtert Handlungsspielräume für Protest und Alternativen. 

Link zur Veranstaltung: https://zoom.us/j/4560709333

Weiterführende Lektüre: “Corona und die nächste Euro-Krise. Gefahren und Chancen für die Linke”, verfügbar unter https://prokla.de/index.php/PROKLA/article/view/1873

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Meinung

“Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff”

Screenshot von Investing.com vom 17.03.2020 um 14:20

In Europa steigen wieder die Zinsen für Staatsanleihen. Allein heute sprang der Risikoaufschlag für italienische Anleihen um bisher mehr als 10 %. Auch spanische Anleihen stehen zunehmend unter Druck der Finanzmärkte (vgl. FT, 17.03.2020). Dies ist umso problematischer, da diese Länder einen Großteil ihrer Aktivitäten zur Eindämmung des Corona-Virus über die Anleihenmärkte refinanzieren. Mit dem Wachsen der Kreditkosten steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Schuldenkrise.

Die Reaktionen der Finanzmärkte sind Ausdruck davon, dass die Eurokrise von 2009 auch nach ihrer offiziellen Überwindung noch weiter geschwelt hatte. Während die europäischen Eliten die Krise bereits ab 2012 als überwunden bezeichneten, konnten die südeuropäischen Mitgliedsstaaten ihr wirtschaftliches Niveau von vor der Krise bis heute nicht erreichen (vgl. Sablowski/Schneider/Syrovatka 2018). Zwar sanken zwischenzeitlich die Spreads, d.h. die Zinsen für Staatsanleihen im Vergleich zu Deutschland, jedoch zeigte jede Korrektur an den Aktienmärkten, wie prekär diese Ruhe ist.

Die Ursache dafür liegt darin, dass der Kern der Krise nie wirklich angegangen wurde: die fehlerhafte Konstruktion der Eurozone als auch die Re-Regulierung der Finanzmärkte. Insbesondere eine Reform der Eurozone in Richtung einer Risikoteilung und einer stärkeren Konvergenz der Euroländer wurde hauptsächlich von Deutschland und den nordeuropäischen Ländern mit Verweis auf Moral Hazards und die Gefährdung der europäischen Stabilitätskultur vehement abgelehnt (vgl. Schneider/Syrovatka 2019). Zuletzt biss sich Emanuel Macron mit seinen Vorschlägen eines europäischen Finanzministers und einem Eurozonenbudget die Zähne aus. Die in der Krise institutionalisierten austeritätspolitischen Instrumente dagegen ziele durch ihre einseitige Fokussierung auf Haushaltsdefizite auf eine Festschreibung der Stabilitätsunion (vgl. Syrovatka/Schneider 2019). Ebenso werden nur jene Länder mit Handelsbilanzdefiziten bestraft, nicht jedoch Länder wie Deutschland, die hohe Handelsbilanzüberschüsse aufweisen. Wirtschaftliche Ungleichgewichte werden nur dann bearbeitet, wenn sie nicht der deutschen Exportorientierung widersprechen. Dadurch blieben die bestehenden Ungleichgewichte in der Eurozone bestehen. Hinzu kommt ein weiterhin weitestgehend unregulierter Finanzmarkt. Viele Re-Regulierungen wie das Verbot von Swaps wurden wieder rückgängig gemacht. Die Bankenunion ist weiterhin unvollendet, es fehlt an einem europäischen Einlagensicherungssystem ebenso wie an einem Backstop zur Abwicklung von Zombiebanken (vgl. Guntrum 2019).

Die Eurozone ist wahrlich schlecht aufgestellt für eine erneute Eurokrise, die aller Voraussicht durch die weltwirtschaftlich angehäuften Überkapazitäten in der Produktion, dem weltweiten Finanzcrash durch ein Überangebot an Liquidität als auch durch die Unterbrechung von Liefer- und Produktionsketten (vgl. The Economist, 15.02.2020), noch tiefer und härter ausfallen wird als 2008/2009. Hinzu kommt, dass die EZB heute viel weniger Eingriffsmöglichkeiten hat als noch vor zehn Jahren. Als Lender of Last Resort sind ihre wichtigsten Instrumente abgenutzt. Ihr Pulver ist durch eine jahrelange Politik niedriger Zinsen und Anleihenkäufe weitestgehend verschossen. Nicht umsonst reden wir heute bereits über Helikoptergeld und Ähnliches (Handelsblatt, 17.02.2020).

Die Linke in Europa sollte sich daher auf eine tiefe Krise gefasst machen, die die EU vor dem Rand des Zusammenbruchs stellen wird. Es kommen nun jene Zeiten, in der das Neue endlich geboren werden kann. Dafür dürfen wir den “Monstern” (Zizek) nicht die Bühnen überlassen, sondern ein eigenes Projekt für ein solidarisches Europa formulieren. Ich halte dafür Ideen wie den Green New Deal, der breite Bevölkerungsteile einbinden könnte, als ein geeignetes Projekt, die Krise von Links als historische Situation nutzbar zu machen.

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Zwischen stiller Revolution und Zerfall

Now available! The translated version of our paper about the European economic integration after ten years of crisis. With Thomas Sablowski and Etienne Schneider. Download here

Zusammen mit Thomas Sablowski und Etienne Schneider habe ich eine Broschüre für die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemacht. Darin ziehen wir Bilanz und versuchen auf folgende Fragen eine Antwort zu geben:

Zusammen mit Thomas Sablowski und Etienne Schneider habe ich eine Broschüre für die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemacht. Darin ziehen wir Bilanz und versuchen auf folgende Fragen eine Antwort zu geben:

  • Wie hat sich die Eurokrise und ihre autoritäte Bearbeitung auf das Lohnverhältnis ausgewirkt?
  • Sind die wirtschaftlichen Ungleichgewichte kleiner oder größer geworden?
  • Und warum steht derzeit gerade Italien im Fokus der Krisenprozesse. 

Die Broschüre ist bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung erhältlich und kann dort bestellt werden. Wer die Broschüre als PDF bevorzugt, kann sie hier herunterladen.

Hier der Klappentext:

Nachzehn Jahren Krise stellt sich die Frage, welche Auswirkungen sich aus dem bisherigen Krisenmanagement der EU ergeben. Obwohl die ungleiche Entwicklung in der EU nicht in erster Linie ein Resultat zu hoher und zu niedriger Löhne ist, zeigt sich zunächst, dass das Lohnverhältnis als zentraler Ansatzpunkt der europäischen Krisenbearbeitung stärker europäisiert wurde. Es ist unter neoliberal-autoritärem Vorzeichen zu einer deutlichen Verlagerung von arbeitsmarkt- und lohnpolitischen Kompetenzen auf die europäische Ebene gekommen.

Wir vertreten die These, dass die Eurokrise durch die autoritäre Bearbeitung vor allem auf Kosten der Lohnabhängigen in Südeuropa zwar vorläufig überwunden wurde, die ihr zugrunde liegenden Ursachen durch die einseitige Konzentration auf die Lohnentwicklung jedoch nicht beseitigt wurden: Die Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten der EU sind nicht verschwunden, sondern teilweise sogar noch größer geworden. Die grundlegenden Widersprüche der europäischen Integration und vor allem der Wirtschafts- und Währungsunion bleiben bestehen und brechen nun an anderen Stellen auf – aktuell insbesondere in Italien und in der sich abzeichnenden Krise der neomerkantilistischen Exportstrategie Deutschlands.

Insgesamt ist die Krisenbearbeitung durch eine widersprüchliche Entwicklung gekennzeichnet: Während die Krise einerseits zu einer Vertiefung der Integration im Bereich der Regulation des Lohnverhältnisses geführt hat, verschärfte sich andererseits die ungleiche Entwicklung der EU-Staaten, womit eine Tendenz der Desintegration verbunden ist. Obwohl sich beide Entwicklungstendenzen nicht unabhängig voneinander entfalten, stellen wir sie zunächst gesondert dar, um dann in der Schlussfolgerung eine Gesamteinschätzung dieser Entwicklungen vorzunehmen.

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Nix Neues aus Merseberg

Quelle: Bundesregierung/Bergmann https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Mediathek/Einstieg/mediathek_einstieg_fotos_node.html;jsessionid=EA1522290B4953D0D698697FD3419C4B.s2t2?cat=fotos

„Hier war die Arbeit am kompliziertesten“, räumte die Kanzlerin ein, als sie auf der Pressekonferenz das Thema Wirtschafts- und Währungsunion ansprach. Und damit hatte sie die Probleme im deutsch-französischen Verhältnis pointiert auf den Punkt gebracht: In der Frage der konkreten Ausgestaltung der Eurozone prallten zwei Europavorstellungen aufeinander: Wirtschaftsregierung vs. Stabilitätsunion

Zuletzt hatte Emmanuel Macron nach seiner Wahl zum französischen Staatspräsidenten mit weitreichenden Vorschlägen die Debatte wieder dynamisiert und letztendlich die deutsche Bundesregierung unter Druck gesetzt. Macron schlug faktisch die Einrichtung einer europäischen Wirtschaftsregierung vor, mitsamt eines europäischen Finanzministers, welcher über weitreichende Kompetenzen sowie ein eigenes Budget verfügen sollte. Der europäische Finanzminister sollte einem eigenständigen Eurozonenparlament rechenschaftspflichtig sein. Mit einer sogenannten Fiskalkapazität sollten darüber hinaus die Euro-Mitgliedsstaaten gestützt werden können. Die Fiskalkapazität sollte sich aus eigenen Mitteln – Macron nannte vor seiner Wahl das Instrument der Eurobonds – finanzieren können. Erschreckt von den Vorschlägen der Franzosen und der eigenwilligen Interpretation dieser Vorschläge von Seiten der Kommission („Nikolauspaket“) verschlug es den deutschen Verantwortlichen erst die Sprache, um danach die klare Position des „Ja aber…“ zu vertreten. Die Meseberger Erklärung des deutsch-französischen Ministertreffens gestern sollte daher den Durchbruch einer seit Jahren geführten Debatte über die konkreten Schritte einer Vertiefung der Währungs- und Wirtschaftsunion bringen.

Schaut man sich nun die Ergebnisse des Meseberger-Gipfels an, so sind diese in keiner Weise als Durchbruch zu bezeichnen. Nimmt man die vielen Phrasen und Allgemeinplätze aus der Erklärung heraus, so bleibt nur noch ein Eurozonenbudget sowie die Weiterentwicklung des Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) übrig. Der Finanzminister, das Eurozonenparlament sind im Text nicht mehr vorhanden, die vorgeschlagene Fiskalkapazität soll „geprüft“ werden. In Meseberg wurden Macrons Vorschläge so weichgeklopft, dass sie jetzt auch in das das deutsche Europaprojekt einer Stabilitätsunion passen. Sie schrumpften zur Frace, was noch offensichtlicher wird, betrachtet man die verbliebenen Ideen Macrons noch einmal genauer.

Die Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) war in der Vergangenheit wohl jener Vorschlag, wo Deutschland und Frankreich große Schnittmengen aufwiesen. Man war sich einig, dass der ESM in europäisches Recht überführt werden und eine zentralere Rolle in der Krisenbearbeitung spielen sollte. Doch selbst dieser Kompromiss kam nicht zustande. Zwar sieht die deutsch-französische Erklärung vor, dass der ESM in der Quadriga (ehemals Troika) eine größere Rolle spielen soll, jedoch sollen sowohl IWF, EZB als die Europäische Kommission in die Überwachung und Kontrolle der Programmländer eingebunden bleiben. Zudem soll der ESM auch erstmal zwischenstaatlich bleiben und erst in einem zweiten Schritt in EU-Recht überführt werden. Wann dies der Fall sein soll, bleibt unbestimmt. Auch die zukünftige Ausgestaltung und Funktion des ESM bleibt unkonkret. Zwar soll der ESM um ein „Auffanginstrument“ ergänzt werden, jedoch bleibt offen, was genau darunter zu verstehen ist und wie groß dieses Budget wäre. Zugleich wird im darauffolgenden Satz betont, dass dass Austerität und Konditionalität das „grundlegende Prinzip des ESM-Vertrags und aller ESM-Instrument“ bleiben soll.Ebenso übrigens wie auch der Name des Stabilitätsmechanismus. Der ESM kann (!) in Zukunft unbenannt werden, mittelfristig bleibt er bei seinem Namen, um dem Internationalen Währungsfonds nicht zu düpieren.  Die Austeritätsorientierung bleibt also erhalten und vieles deutet darauhin, dass der ESM nach jenem Vorschlag ausgebaut wird, den zuletzt noch Wolfgang Schäuble Anfang des Jahres in die Eurogruppe eingebracht hatte. Dieser sieht den ESM als Korrektiv für die Krisenpolitik der Kommission vor, welcher noch stärker auf Stabilität und Austerität fokussiert bleibt. Sozusagen als Zuchtmeister für Europa.

Noch weniger konkret wird der Text in Bezug auf das Eurozonenbudget. Dieses soll zwar bis 2021 umgesetzt sein, entspricht jedoch keinesfalls mehr jenen Zielen, welche Emmanuel Macron noch vor seiner Wahl ausgegeben hatte.  So forderte er im Wahlkampf einen umfangreichen Investitionshaushalt, um Ungleichgewichte in der Eurozone auszugleichen und eine stärkere Konvergenz zwischen den Euro-Mitgliedsstaaten zu schaffen. Betont wurde insbesondere, dass ein solches Budget außerhalb des EU-Haushaltes stehen und durch einen eigenständigen Finanzminister verwaltet werden.

In der Meseberger Erklärung ist jener Eurozonenhaushalt jedoch weder eigenständig noch mit einem Finanzminister verknüpft. Stattdessen soll er im EU-Haushalt verankert werden und gleicht in seiner Funktionsweise eher jenem Vorschlag, den Angela Merkel zuletzt in der FAZ formulierte. Nämlich einem eher kleinen Finanztopf zur Förderung von „Investitionen in Innovationen und Humankapital“, wie es auch in der Meseberger Erklärung heißt. Die europäischen Fiskalregeln sollten davon unberührt bleiben und Transfers vermieden werden. Letztendlich lässt sich hier nur spekulieren, denn die Höhe des Eurozonenbudgets bleibt in der deutsch-französischen Erklärung unbestimmt. Sie soll in den Verhandlungen um den mehrjährigen Finanzrahmen der EU geklärt werden, welche jedoch erst in den kommenden Monaten beginnen. Mit der Einbindung in den EU-Haushalt wurde die Streitfrage letzendlich vertragt und auf ein anderes Terrain verschoben, welches bereits jetzt extrem kontrovers ist. Denn aufgrund des Brexits steht weniger Geld für den EU-Haushalt zu Verfügung und viele Länder weigern sich, mehr in den Haushalt einbezahlen zu wollen. Daher scheint es absehbar, dass ein Eurozonenhaushalt sehr klein ausfallen und wahrscheinlich kaum merkliche Auswirkungen haben wird.

Interessant ist jedoch, dass sich in der Frage, wer diesen Topf am Ende verwalten soll, weder Frankreich noch Deutschland, sondern die Europäische Kommission durchgesetzt hat. Während „strategische Beschlüsse zum Haushalt“ der Eurogruppe vorbehalten bleibt, obliegt die konkrete Entscheidungsgewalt über die Ausgaben bei der Kommission, womit diese institutionell gestärkt wird. Vertagt wurde die Entscheidung über die Fiskalkapazität, welche in Form eines „Stabilisierungsfonds für Arbeitslosigkeit“ d.h. einer sog. Arbeitslosenrückversicherung durch eine deutsch-französische Arbeitsgruppe geprüft werden soll.

Schlussendlich lässt sich mit Blick auf die Ergebnisse des deutsch-französischen Treffens sagen, dass die Bundesregierung relativ erfolgreich eine Aufweichung der Stabilitätsorientierung der WWU verhindert hat. Die Vorschläge Macrons schrumpften seit seiner Wahl immer weiter und sind jetzt, etwas mehr als ein Jahr danach, kaum noch wieder zu erkennen. Seine zentralen Projekte wurden soweit abgeschwächt, dass auch eine deutsche Bundesregierung damit leben kann.

Auch ihr ist bewusst, dass sie Macron soweit entgegenkommen muss, dass dieser die Verhandlungen innenpolitisch als Erfolge verkaufen kann, ohne jedoch das deutsche Europaprojekt einer Stabilitätsunion zu gefährden. Dementsprechend berühren die die deutschen Zugeständnisse nicht die wesentliche Ausrichtung der WWU als Stabilitätsunion. Zugleich scheint es mehr als fraglich, ob die deutsch-französischen Kompromisse überhaupt  eine Chance auf Realisierung haben. Viele nordeuropäische Staaten v.a. die Niederlande haben bereits angekündigt, im Rat einen möglichen deutsch-französischen Kompromiss abzulehnen bzw. zumindest kritisch zu prüfen. Man könnte also sagen: Alles bleibt beim Alten, die Eurozone bleibt auf Kurs der Stabilitätsunion.

 

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Kein Bruch mit dem Spardiktat

Im Dezember haben Etienne Schneider und ich einen Text in der PROKLA veröffentlicht, in dem wir argumentieren, dass der deutsch-französischen Bilitarialismus in Fragen der europäischen Wirtschaftsintegration blockiert ist. So stehen sich das deutsche Leitbild der Stabilitätsunion und das französische Leitbild der Wirtschaftsregierung unvereinbar gegenüber und blockieren somit einen Kompromiss, der eine tiefere Integration und eine Lösung der fundamentalen Probleme der Eurozone ermöglichen würde. Seitdem ist viel passiert.

So haben 14 deutsch-französische Ökonomen Anfang Januar ein gemeinsames Papier veröffentlicht, von dem  ein Impuls ausgehen sollte, diese Blockade aufzulösen. Ziel des Papiers war es einen „Kompromiss“ zwischen den beiden Position zu formulieren, um „Risikoteilung und Marktdisziplin in Einklang“ zu bringen. Dabei wurden weniger neue Forderungen formuliert, als Altbekanntes erneut zur Diskussion gestellt. Die gemeinsame Einlagensicherung wurde ebenso beschworen wie die Eigenkapitalunterlegung bei Staatsanleihen oder die europäische sichere Anlage. Auch die Ausweitung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF – wie er eigentlich schon beschlossene Sache ist) wurde implizit angesprochen sowie die Forderung nach einer gemeinsamen Fiskalkapazität (einer alten Forderung der Franzosen). Neu dagegen waren drei Punkte:

  • Abschwächung der Fiskalregeln durch den Fokus auf eine längerfristige Haushaltstabilisierung. Zugleich jedoch sieht das Papier die Schaffung eines Strafmechanismus vor, der die Defizitländer dazu zwingen soll, „überschießende Ausgaben durch nachrangige Staatsanleihen (‚Accountability Bonds‘)“ (S.5) zu finanzieren, womit sie dem Druck der Kapitalmärkte direkt ausgesetzt wären. Dies hätte einen stärkeren Zwangscharakter zu Reduzierung der Ausgabenlast „als die derzeitige Androhung von Strafen, die noch nie durchgesetzt wurden“ (ebd.)
  • Die Schaffung eines Insolvenzmechanismus für Staaten. Dazu gab es einige Diskussionen sowohl von links als auch von rechts (Kritik an der Idee siehe bspw. in der ZEIT). Das Papier spricht sich dafür aus, dass eine geordnete Schuldenrestrukturierung stattfinden soll, jedoch nicht als Automatismus.
  • Die Installation einer externen Institution für eine stärkere Überwachung der Wirtschaftspolitiken in der Eurozone. Diese Institution soll entweder von der Kommission oder vollständig extern kontrolliert werden. In diesem Sinne war weder von Rechenschaftspflicht, noch von einer demokratischen Mitbestimmung des Parlaments die Rede. Einzig der ESM, der zur alleinigen Kreditvergabeinstitution ausgebaut wird, soll „einem Ausschuss des Europäischen Parlaments die Hilfsprogramme erläutern und rechtfertigen“, muss jedoch keine Mitbestimmung durch das Parlament selbst befürchten (S. 7)

Insgesamt gehen die Vorschläge der Ökonomen nicht über die geführte Diskussion hinaus und brechen aus meiner Sicht auch die Widersprüchlichkeit zwischen den beiden deutsch-französischen Leitbildern nicht auf. So ist zwar in einem Satz von einem hauptamtlichen Eurogruppenchef die Rede, jedoch davon nicht welche Aufgaben er besitzt. Vielmehr scheint es, dass durch die Ausgliederung der wirtschaftspolitischen Überwachung in eine externe Institution (die noch weniger demokratisch überwacht werden kann als die Kommission), der Forderung von Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker nach einem Eurozonenkommissar, zuvorgekommen werden soll. Ein Eurozonenkommissar würde damit letztendlich zu einem Pappkameraden werden, eingeklemmt zwischen dem mächtigen EWF und einer neuen wirtschaftspolitischen Überwachungskommission. Zugleich bleibt es weiterhin mehr als fraglich, ob die progressiven Vorschläge, wie etwa eine gemeinsame Fiskalkapazität oder die Aufweichung der Fiskalregeln in der aktuellen politischen Gemengelage überhaupt durchsetzbar wären.

Dies zeigt etwa ein Blick auf den Entwurf des Koalitionsvertrags zwischen SPD und CDU. Dieser wurde von der Presse gefeiert, da das Europakapitel nun an erster Stelle steht. Dies sei ein Zeichen an die Macron-Administration, dass man es ernst meine mit Europa. Ein genauer Blick zeigt jedoch vor allem ein Festhalten am altbekannten Leitbild der Stabilitätsunion. Der Fokus bleibt auf Währungsstabilität und Wettbewerbsfähigkeit ergo Austerität und Lohnzurückhaltung.

So steht neben vielen Allgemeinplätzen und pathetischen Bekenntnissen zur Europäischen Union  etwa folgender Satz:

Dabei bleibt der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in Zukunft unser Kompass. Stabilität und Wachstum bedingen einander und bilden eine Einheit. Zugleich muss auch künftig das Prinzip gelten, dass Risiko und Haftungsverantwortung verbunden sind.“ (S.9).

Dies bedeutet nichts anderes, als dass auch in Zukunft nicht mit einer europäischen Wirtschaftsregierung zu rechnen ist, wie sie sich Macron und die französischen Regierungen vor ihm ausgemalt hatten. Auch insgesamt findet sich kein Wort zu den französischen Vorschlägen eines europäischen Finanzministers oder einer Fiskalkapazität. Vielmehr wurde der deutsche Vorschlag eines kleinen Eurozonenbudgets wieder aufgenommen, der jedoch im Rahmen des EU-Haushalts verbleiben und an die „Strukturreformen“ (S.8) geknüpft werde soll. Dies ist jedoch nichts anderes als der Plan einer weiteren „Zuckerbrot-und-Peitschen“-Regelung, wie sie bereits mehrfach auch im 5-Präsidentenpapier oder in der Reform der Kohäsionsfondsrichtlinien angeklungen sind. Der von Martin Schulz gefeierte „Investitionshaushalt“ steht übrigens nur in einem Nebensatz und dort auch nur im Konjunktiv. Ein Durchbruch oder gar ein Zugeständnis an Macron sieht wirklich anders auch.

Daneben findet sich im Koalitionsvertrag ein eindeutiger Satz zum Europäischen Währungsfonds (EWF). Dieser soll den ESM ersetzen und fortan die Kreditvergabe an notleidende Eurozonenländer regeln. Der EWF wurde sowohl von Seiten der deutschen Bundesbank und des Finanzministeriums als auch von französischer Seite befürwortet. Unter dem Begriff verstehen jedoch beide Seiten etwas vollkommen anderes. Während Frankreich den EWF als eine Institution mit Investitionsrecht konzipiert hat, sieht die deutsche Seite darin primär einen neuen Hebel zur Durchsetzung von Fiskaldisziplin und Austeritätspolitik. Ein Entgegenkommen an die französische Position in Fragen der europäischen Wirtschaftsintegration kann daher nicht in diesem Satz hineininterpretiert werden, trotz der Beschwörung des deutsch-französischen „Innovationsmotors“ (S. 9).

Interessant ist jedoch ein ganz anderer Absatz im Koalitionsvertrag. Nämlich jener, in dem die Europäische Arbeitsmarktpolitik verhandelt wird. So steht auf Seite 7 folgender Satz:

„Wir wollen einen Rahmen für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten entwickeln. Wer konsequent gegen Lohndumping und soziale Ungleichheiten in wirtschaftlich schwächeren Ländern in Europa kämpft, sichert auch den Sozialstaat und die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland“

Hier scheinen sich die Koalitionäre zum einen auf die umstrittene Reform der Entsenderichtlinie zu beziehen und ihre Zustimmung zu französischen Position zu bekräftigen. Aber wenn man den Satz genauer liest, steht hier ein viel interessanterer Punkt drin. So scheinen beide Parteien dazu gewillt zu sein, gemeinsame europäische Regelungen für Mindestlöhne und Grundsicherungen zu schaffen. Damit beziehen sie sich auf die Europäischen Säule Sozialer Rechte und des darin postulierten Rechts auf „angemessene Mindestlöhne“. Zwar war diese Formulierung nicht nur Wage, sondern zugleich auch nicht verbindlich, jedoch hatte Daniel Seikel bereits im Dezember in einem WSI Policy Papier argumentiert, dass dies ein Ansatzpunkt für eine „europaweit koordinierte Mindestlohnpolitik genutzt werden“ (S.7) könnte (vgl. auch Schulten/Müller 2017). Dabei scheint es hier jedoch besonders wichtig zu sein, genau hinzuschauen, wie genau diese Regelung am Ende aussehen wird. Ich persönlich bin doch sehr skeptisch, ob dies eine Wende in der europäischen Lohnpolitik einleiten wird.

Zusammengefasst könnte man also sagen, dass irgendwie alles beim alten geblieben ist. Während sich das Papier der „Top-Ökonomen“ (SPIEGEL ONLINE) wenigstens die Mühe gemacht hat, mögliche Kompromisspositionen zu formulieren, bleibt der Entwurf des Koalitionsvertrag eine Zementierung der deutschen Position einer europäischen Stabilitätsunion. Ein Bruch mit dem „europäischen Spardiktat“, wie Martin Schulz den Koalitionsvertrag genannt hat, sieht anders aus. Ganz anders. Für die Eurozone und ihre Probleme scheinen daher keine Lösung am politischen Horizont erschienen zu sein. Dies ist jedoch ist hoch problematisch, sind doch weiterhin massive Risiken in den Bankbilanzen und auch im Euroraum versteckt. Die starken Kursschwankungen an den weltweiten Börsen haben zudem gezeigt, dass die aktuelle Situation an den Finanzmärkten höchst volatil ist und eine erneute Krise schneller kommen kann als man denkt. Auf einen erneuten Einbruch der Weltwirtschaft scheint die Eurozone jedoch nicht vorbereit zu sein. Dies hat der französische Finanzminister Bruno Le Maire letztens noch einmal betont, als er sich zugleich gegen einen, von Deutschland präferierten automatischen Insolvenzmechanismus für Staaten in der Eurozone wehrte. Die EU braucht resiliente und demokratische Strukturen, um einen erneuten Wirtschaftseinbruch zu überstehen. Diese sind jedoch aufgrund der aktuell blockierten Kompromissdynamik jedoch nicht zu erkennen.

 

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Eine Zukunft für die EU?

Auf dem WSI-Herbstforum im Dezember 2016 gab es ein spannendes Panel zur Frage der Zukunft der EU und wie ein soziales und demokratisches Europa aussehen kann. Diskutiert haben Prof. Dr. Martin Höpner vom Max-Plank-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und Prof. Dr. Hans-Jürgen Bieling von der Universität Tübingen. Das gesamte Streitgespräch mitsamt Zuschauerfragen kann nun online abgerufen werden. Zum Thema der Diskussion ist das WSI-Woking-Paper 207 von Daniel Seikel empfehlenswert.

Bildquelle: _TC Photography_/Flickr CC-Lizenz 2.0