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Frankreich: Eine Politik gegen die Mehrheit

Der Artikel erschien am 21.Mai auf dem „OXI-Blog – Wirtschaft für Gesellschaft“ und kann dort ebenfalls abgerufen werden

Es ist eine wirtschaftspolitische Wende, wie sie wohl nur von einem sozialdemokratischen Staatschef vollzogen werden kann. Angetreten als Alternative zur neoliberalen Kürzungspolitik in Europa und als Gegengewicht zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel, ist der französische Präsident Francois Hollande nun auf dem Weg, mit seinem sozialdemokratischen Parteigenossen Gerhard Schröder in Sachen Arbeitsmarktreformen gleichzuziehen. In einem Interview mit dem Radiosender Europe1 erklärte er letztens, dass er lieber als Präsident im Gedächtnis der Menschen bleiben würde, »der auch unpopuläre Reformen durchgesetzt hat, als ein Präsident, der nichts unternommen hat.«

Dass er in seiner Amtszeit nichts unternommen hätte, kann man Hollande wirklich nicht vorwerfen. Schon vor seiner Neujahrsansprache 2014, in der er offiziell eine angebotspolitische Wende in der Wirtschaftspolitik ankündigte, hatte seine Regierung einen sogenannten »Wettbewerbspakt« verabschiedetet, der Steuern- und Abgabenerleichterungen in Höhe von 20 Milliarden Euro vorsah. Auf Grundlage eines Berichts des ehemaligen EADS-Vorsitzenden Louis Gallois, hatte sich die sozialistische Regierung noch im Dezember 2012 entschlossen, durch massive Unternehmensentlastungen und einer Flexibilisierung von Arbeitszeit- und Gehaltsregelungen, die Lohnnebenkosten drastisch zu reduzieren und damit die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft zu stärken.

Die neoliberale Wende von Francois Hollande vollzog sich dann mit der Durchsetzung des sogenannten Verantwortungspaktes und der mehrmaligen Umbildung der Regierung. Mit der Berufung von Manuel Valls zum Premierminister und Emanuel Macron zum Wirtschaftsminister wurde der wirtschaftsliberale Flügel in der sozialistischen Regierung gestärkt, während gleichzeitig mit dem Rücktritt von Arnaud Montebourg und Christiane Taubira der linke Flügel vollständig aus der Regierungspolitik verdrängt wurde. Zugleich wurde mit dem Verantwortungspakt, welcher weitere Steuer- und Abgabenentlastungen für Unternehmen von mehr als 30 Milliarden Euro jährlich vorsah, der Startschuss für eine ganze Batterie neoliberaler Reformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gegeben. So folgte noch Ende 2015 das sogenannte Loi Macron, welches mithilfe der Notverordnung 49-3 gegen den Widerstand der Gewerkschaften und des linken Flügels der Regierungspartei beschlossen wurde. Das Reformpaket des neuen Wirtschaftsministers Macron hatte die Abschaffung der Zugangsbeschränkung für bestimmte Berufe (Notare, Taxifahrer etc.), die Ausweitung der Nacht- und Sonntagsarbeit sowie eine umfassende Lockerung des Kündigungsschutzes zur Folge.

An diese angebotspolitische Reformpolitik schließen nun auch die vorgeschlagenen Arbeitsrechtsreformen der Arbeitsministerin Myriam El Khomri an. Auch wenn der Gesetzesentwurf in Folge verschiedener Konsultationsrunde mit den Unternehmensverbänden und den reformorientierten Gewerkschaften abgeschwächt wurde, sieht er immer noch einen radikalen Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und eine Erhöhung der Arbeitszeiten vor. So soll die Überstundenregelung – welche seit der Einführung der 35-Stunden-Woche ein Instrument für ihre Aushöhlung ist – weiter gelockert werden. Zudem sieht der Gesetzesentwurf vor, dass die Wochenarbeitszeit für den Zeitraum von 16 Wochen auf 48 Stunden (in Ausnahmefällen sogar auf 60 Stunden) erhöht werden kann. Ebenfalls soll der Kündigungsschutz gelockert und die Definition von »betriebsbedingten Kündigungen« stark erweitert werden. Vereinbarungen auf der betrieblichen Ebene, auf der die französischen Gewerkschaften bisher kaum verankert sind, sollen gestärkt und die Einführung betriebsinterner Referenden bindend werden. Hierdurch können in Zukunft Blockaden einzelner Gewerkschaften bei Betriebsentscheidungen umgangen werden.

Nach massiven Demonstration von Gewerkschaften und Studierenden, nach den nun seit mehr als einem Monat anhaltenden Platzbesetzungen überall in Frankreich sowie starker Kritik aus der eigenen sozialdemokratischen Partei und Fraktion hat der französische Premierminister Valls nun angekündigt das Gesetz auch gegen den Willen des Parlaments, mithilfe des Notparagraphens 49-3 durchzusetzen. Dieser Paragraph sieht vor, dass ein Gesetz dann als angenommen gilt, wenn die Regierung ein darauffolgendes, mit dem Paragraphen verknüpftes Misstrauensvotum erfolgreich übersteht. Eine Abstimmung und eine wirkliche parlamentarische Debatte über das Gesetz werden so unterbunden. Der Notparagraph ist daher sehr umstritten, wurde jedoch in der Vergangenheit schon mehr als 80-mal, von hauptsächlich konservativen Regierungen eingesetzt. Zuletzt bediente sich jedoch die heutige Regierung Valls bei der Abstimmung über das Loi Macron dem Notparagraphen, um die KritikerInnen in der eigenen Fraktion zu disziplinieren. Die autoritäre Durchsetzung des Loi Macron war damals vor allem dem Druck aus Brüssel und Berlin geschuldet, die aufgrund des anhaltenden Haushaltsdefizits die Umsetzung weitreichender Strukturreformen forderten. Emanuel Macron sagte damals, dass das Reformpaket in erster Linie ein »Reformsignal an die europäischen Partner und vor allem Deutschland« zu verstehen sei.

Sehr ähnlich scheint es nun auch beim Loi El Khmori gelagert zu sein. So hatten die europäischen Institutionen in ihren länderspezifischen Empfehlungen seit langem eine Lockerung des Kündigungsschutzes ebenso gefordert, wie eine Flexibilisierung der Arbeitszeit- und Gehaltsregelungen. Nach den Terroranschlägen von Paris und den damit verbundenen erhöhten Sicherheitsausgaben, hatte die französische Regierung angekündigt, die Maastrichtkriterien zu verletzen, gleichzeitig aber auch der Umsetzung geforderter Strukturreformen höchste Priorität einzuräumen. Hinzu kommt ein hoher interner Druck von den Arbeitgeberverbänden MEDEF und afep, welche sich seit Jahren für eine Reform des Arbeitsrechts sowie eine Aushöhlung der 35-Stunden-Woche stark machen.

Es wird interessant zu beobachten, wie sich die Situation in Frankreich in den nächsten Wochen entwickeln wird. Der Druck von der Straße, die Arbeitsrechtsreform zu verhindern, ist in den letzten Tagen noch einmal gestiegen. Die Bewegung, welche sind anfangs hauptsächlich auf die Hauptstadt Paris konzentrierte und von einem vor allem studentischen Milieu getragen wurde, erfasst mittlerweile das ganze Land. Mehr als 75 Prozent der Bevölkerung lehnen die Arbeitsrechtsreformen ab und halten sie für ungerecht. An den letzten Aktionstagen beteiligten sich hunderttausende Menschen landesweit. Blockaden der LKW-Fahrer und Streiks bei der Staatsbahn SNCF legten mehrere wichtige Verkehrsachsen lahm. Frankreich ist wieder einmal in Bewegung, doch scheint es fraglich, ob die Arbeitsrechtsreform noch gestoppt werden kann. Francois Hollande hat nun angekündigt mit aller Härte gegen die Streikenden und Protestierenden vorzugehen, denn die Arbeitsrechtsreformen seien »gut für Frankreich.« Er wird in Erinnerung bleiben und zwar als Präsident neoliberaler und autoritärer Reformpolitik.

Felix Syrovatkas Buch zur französischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erscheint im Juni.

Photo: Alter1fo /Flickr.com

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Autoritäre Austeritätspolitik á la française

Felix Syrovatka über den umstrittenen Einsatz des Notparagraphens 49.3 durch die französischen Sozialdemokraten und die Krise der Fünften Republik

Jetzt also doch! Was von der französischen Presse schon seit Februar spekuliert, aber von der französischen Regierung immer wieder abgestritten wurde, wird nun Wirklichkeit. Der Premierminister Manuel Valls kündigte nun an, die umstrittene Arbeitsrechtsreform mithilfe des Notparagraphens 49.3 gegen den Widerstand seiner eigenen sozialdemokratischen Fraktion durchzusetzen. Der Paragraph 49.3 sieht vor, dass ein Gesetz dann als angenommen gilt, wenn die Regierung ein darauf folgendes, mit dem Paragraphen verknüpftes Misstrauensvotum erfolgreich übersteht. Eine Abstimmung und eine wirkliche Auseinandersetzung im Parlament über das Gesetz wird so unterbunden, weshalb der Paragraph 49.3 in Frankreich sehr umstritten ist und die Schwäche der eigenen Regierungsfraktion offen legt. Trotz dieser negativen Implikationen wurde der Notparagraph seit 1958 schon mehr als 80-mal eingesetzt – hauptsächlich von konservativen Regierungen. Zuletzt bediente sich ihm die heutige Regierung Valls vor rund einem Jahr bei der Abstimmung über das Reformpaket des Wirtschaftsministers Emanuel Macron, um die KritikerInnen in der eigenen Fraktion zu disziplinieren.

Der Fall nun ist sehr ähnlich gelagert, scheint es doch Valls und Hollande in den letzten Wochen und Tagen nicht gelungen zu sein, die sozialdemokratische Fraktion trotz massiver Drohungen und Einschüchterungsversuche auf Linie zu bringen. Vielmehr wurde die Kritik aus den eigenen Reihen am Gesetz, welches eine Lockerung des Kündigungsschutzes und eine faktische Abschaffung der 35-Stunden Woche vorsieht, immer lauter. Allen voran der linke Fraktionsflügel »Vive La Gauche!« hatte schon im Vorfeld angekündigt, gegen das Gesetz zu stimmen. Damit schlug er sich auf die Seite der linken Gewerkschaften, der Bewegung »Nuit Debout« und des Großteils der Bevölkerung, welche eine Rücknahme des Gesetzesentwurfs fordern. So lehnen nach aktuellen Umfragen des Fernsehsenders »BFMTV« 74 Prozent der Bevölkerung die Arbeitsrechtreformen ab, weil sie zu einseitig die Rechte der Unternehmen stärken. Unter den 18 bis 34-Jährigen ist die Ablehnung mit 78 Prozent noch größer. Sogar der liberale Wirtschaftswissenschaftler und Präsidentschaftsberater Jacques Attali kritisierte: »Man sieht in dem Reformvorschlag nur, was die Arbeitgeber – und nicht, was die Beschäftigten gewinnen können. Man könnte glauben, eine Kopie eines Positionspapiers der Arbeitgeber in der Hand zu halten«.

Trotz der starken Ablehnung von Seiten der Bevölkerung und des französischen Parlaments hält die Regierung Valls weiter am Reformpaket der Arbeitsministerin fest. Die Durchsetzung mithilfe des Notparagrafens 49.3 zeigt, wie stark der Druck durch die Unternehmensverbände aber auch durch die Europäische Union und Deutschland geworden ist. So hatte sich die Kapitalverbände MEDEF und afep seit Jahren für eine Reform des Arbeitsrechts sowie eine Aushöhlung der 35-Stunden-Woche stark gemacht. Aber auch die Europäische Kommission hatte eine Lockerung des Kündigungsschutzes in ihren länderspezifischen Empfehlungen gefordert, dessen Umsetzung durch die erhöhten Ausgaben im Zuge des Terroranschlags im November 2015 und der damit verbundenen Ankündigung der erneuten Verletzung der Maastrichtkriterien für die französische Regierung oberste Priorität hatte. Schon mit der autoritären Durchsetzung des Loi Macron reagierte die sozialistische Regierung auf die Forderungen der Europäischen Kommission und den steigenden Druck aus Deutschland (Syrovatka 2016). So sollte die Umsetzung des Loi Macron nach Aussage von Emanuel Macron in erster Linie ein »Reformsignal an die europäischen Partner und vor allem Deutschland« (Le Monde, 16.10.2014) sein.

Die Durchsetzung des Loi El Khomri mithilfe des Notparagrafens 49.3 offenbart jedoch mehr als nur den steigenden Druck von Seiten der Kapitalverbände und der EU. Vielmehr legt sie die tiefe Krise des politischen Systems der V. Republik und der gesamten politischen Klasse offen. Die derzeitigen Platzbesetzungen durch Studierende überall in Frankreich sind ein Ausdruck eben jener Entkopplung zwischen den Regierten und Regierenden – zwischen der Bevölkerung und ihren Politikern. Diese tiefe Repräsentationskrise hatte ihren Ursprung schon vor den Präsidentschaftswahlen 2012, jedoch verschärfte sie sich durch die angebotspolitische Wende von François Hollande im Jahr 2014. In der jährlichen umfangreichen Untersuchung des Instituts IPSOS (2016) manifestierte sich die Ablehnung des politischen Systems in Zahlen. So gaben im April 2016 rund 83 Prozent der Bevölkerung an, dass das demokratische System in Frankreich sehr schlecht funktioniere und ihre Interessen nicht repräsentiert würden. Mit 89 Prozent stimmte eine deutliche Mehrheit der Aussage zu, dass es den PolitikerInnen egal ist, was die Bevölkerung denkt. Und nur acht Prozent aller Franzosen erhoffen sich Veränderungen von den etablierten politischen Parteien, während 92 Prozent jegliches Vertrauen in diese verloren haben.

Die Zahlen machen deutlich, in welch einer tiefen Krise das politische Systems Frankreich derzeit steckt. Es ist nicht mehr in der Lage die Interessen der Bevölkerung zu repräsentieren und sie politisch zu artikulieren. Das Zwei-Parteien-System ist an seine Grenze gelangt und repräsentiert in einer sich zunehmend polarisierenden Gesellschaft eine selbstreferentielle politische Klasse. Die autoritäre und undemokratische Durchsetzung neoliberaler Arbeitsmarktreformen gegen die Interessen großer Teile der Bevölkerung wird diese politische Krise noch weiter verschärfen. Sie ist Wasser auf die Mühlen des rechtsradikalen Front National, welcher schon früh gegen die Arbeitsrechtsreform Stellung bezogen hatte.

War er wegen der Panama-Affäre zwischenzeitlich in die Defensive geraten, eröffnet sich für ihn mit der Umgehung des Parlaments nun die Chance, wieder in die Offensive zu gelangen und den öffentlichen Diskurs zu bestimmen. So fühlt der Front National sich in seiner Annahme bestätigt, dass die Arbeitsrechtsreform durch die EU diktiert wurde und nun gegen den Willen der französischen Bevölkerung durchgesetzt wird. Die Parteichefin des Front National kritisierte auch schon kurz nach der Bekanntgabe der Anwendung des Notparagrafen: »Die Regierung ist der Gehorsam gegenüber den europäischen Institutionen wichtiger als die demokratische Meinungsbildung des nationalen Parlaments«.

Und die Linke in Frankreich? Die scheint weiterhin vor allem mit eigenen Problemen beschäftigt zu sein. Vor allem die Auseinandersetzungen zwischen der Kommunistischen Partei und der französischen Linkspartei lähmen die politische Linke und verhindern, dass ihre gemeinsame Wahlplattform »Front de Gauche« für die abtrünnigen Sozialdemokraten eine politische Alternative zur regierenden Parti Socialiste bieten kann. Auch die massiven Proteste gegen die Arbeitsrechtsreformen kann sie sich nicht zu Nutze machen und in einen politischen Mehrwert umsetzen. Jedoch wird sich wohl erst im Laufe der Proteste zeigen, ob die französische Linke ihre Chance schon verpasst hat, aus ihrer aktuellen Defensivposition herauszukommen.

 

 

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Lobby ist ihr Hobby. Neoliberale Austeritäts- und Wettbewerbspolitik bleibt das Programm der EU-Kommission.

Der Artikel wurde in gekürzter Form zuerst in der analyse und kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 598, 44. Jhg., S.9, 2014 abgedruckt

Bis zuletzt ging der Wahl Jean-Claude Junckers am 15. Juli 2014 eine ziemliche Geschacher der Staats- und Regierungschefs der EU voraus. Denn anders als im Europawahlkampf suggeriert wurde, gibt es keinen Automatismus in der EU, welcher den Spitzenkandidaten der stärksten Fraktion im Europaparlament zum Kommissionspräsidenten macht. Vielmehr wird dieser  vom Europäischen Rat vorgeschlagen, während die gewählten Parlamentarier nur darüber abstimmen können. Und so war es dann auch keine ausgemachte Sache, dass der ehemalige luxemburgische Ministerpräsident den Posten des Kommissionspräsidenten erhalten sollte, zumal immer wieder offen zu Tage trat, dass u.a. Angela Merkel und der britische Premiere David Cameron weder Juncker noch seinen sozialdemokratischen Gegenkandidaten Martin Schulz nominieren wollten. Während Merkel nach der Wahl jedoch einen Umschwung vollzog und Juncker zu ihrem Kandidaten erklärte, sträubte sich Cameron bis zuletzt, wurde jedoch im Europäischen Rat überstimmt. Mit der Nominierung Jean-Claude Junckers verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs sogleich auch eine neue strategische Agenda für die nächsten fünf Jahre, in der deutlich formuliert ist, dass diese von der neuen Kommission eine Fortführung der Austeritäts- und Sparpolitik erwarten.

Die Fortsetzung der Austeritätspolitik

Der frisch gewählte Kommissionspräsident kündigte sogleich eine grundlegende Strukturreform der europäischen Exekutive an, welche ihm deutlich mehr Macht zukommen lässt, den Spielraum der anderen Kommissare jedoch relativ stark einschränkt. Während die Kommissionsvizepräsidenten früher faktisch bedeutungslos waren und nicht viel zu sagen hatten, sollen sie jetzt ein bestimmtes ressortübergreifendes Themenfeld besetzen und die Arbeit der anderen Fachkommissare steuern und überwachen. Sie besitzen nun sogar ein Vetorecht, da sie jeder Initiative ihrer Kommissare ihres „Projektteams“ zustimmen müssen. So soll zum einen verhindert werden, dass die Beamten aus den Generaldirektionen den Kurs ihres Kommissars bestimmen und zum anderen soll die Kommission damit stärker der Linie Junckers folgen und verhindert werden, dass die einzelnen Kommissare eigene Projekte entwickeln. Die Linie folgt vor allem einer Fortsetzung der europäischen Spar- und Reformpolitik. Zwar kündigte Juncker in seinem Arbeitspapier „Ein Neustart für Europa“ ein „ambitioniertes Beschäftigungs-, Wachstums- und Investitionspaket“ in den ersten drei Monaten seines Mandates sowie eine Überführung der Troika aus IWF, Kommission und EZB in „eine Struktur mit stärkerer demokratischer Legitimation und Rechenschaftspflicht“ an. Gleichzeitig bleiben diese Vorschläge jedoch im Geiste einer neoliberalen Wettbewerbspolitik, welche zum Ziel hat, die EU zu einem der wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsräume der Welt zu machen. Dies zeigt nicht zuletzt das Bekenntnis zum Freihandel, zur Einhaltung der Stabilitätskriterien und die Forderung nach mehr Konvergenz in der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik.

Das Juncker dem Wunsch der Staats- und Regierungschefs nach einer Weiterführung der Austeritätspolitik entsprechen möchte, zeigt nicht zuletzt auch ein Blick auf das Personaltableau für die neue Kommission. Insgesamt versammelt sie vier ehemalige Ministerpräsidenten, die in ihren Ländern, im Zuge der Wirtschaftskrise, eine harte Austeritäts- und Privatisierungspolitik durchsetzten. Andrus Ansip etwa, ehemaliger Ministerpräsident Estlands und nun designierter Kommissionsvizepräsident, führte in seinem Land nicht nur den Euro ein, sondern zerstörte dort ebenfalls das öffentliche Gesundheits- und Rentensystem, erhöhte die Mehrwertsteuer und senkte gleichzeitig die Steuern für Unternehmen. Oder der Finne Jyrki Katainen, ebenfalls einer der sieben designierten Kommissionsvizepräsidenten, welcher sich in Europa durch seine Einschnitte in Renten- und Sozialsystemen einen Namen gemacht hat. Zu dieser Runde gesellt sich auch der ehemalige Ministerpräsident von Lettland, Valdis Dombrovskis, dessen Sparprogramm aufgrund der harten Kürzungen in den Medien nur als „Schocktherapie“ bezeichnet wird. Dombrowskis setzte auf Geheiß des Internationalen Währungsfonds sowie der Europäischen Kommission massiver Einsparungen im Staatshaushalt, Kürzungen der Gehälter im öffentlichen Dienst um mehr als 25% und Streichungen in der Rente um bis zu 70% durch. Diese sogenannte „lettische Lösung“ kann rückblickend als das Vorbild für die Ausgestaltung der Austeritätspolitik in Griechenland angesehen werden. Dombrovskis soll dazu ebenfalls in einem dubiosen Bankendeal um die 2008 notverstaatlichte Parex-Bank verwickelt sein, welche für 92 Millionen Euro an eine US-Finanzholding verkauft wurde. Der Verkauf der Bank war in Lettland vor allem deshalb stark umstritten, weil es deutlich höhere Gebote von anderen Interessenten gegeben hatte.

Böcke zu Gärtnern?

Viel Kritik gab es jedoch für andere Kandidatennominierungen. Vor allem die Nominierung des Spaniers Miguel Arias Canete für den Posten des Kommissar für Energie und Klimaschutz sorgte europaweit für Aufregung. So sprach die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms nach seiner Nominierung von einer „Schwächung der europäischen Klimapolitik“ und die Deutsche Umweltstiftung nannte Canete einen „Lobbyist der Erdölindustrie“. Grund für die Empörung ist, dass Canete eng mit zwei Ölfirmen, Petrolifera Ducor und Petrologis, verbunden ist, wo er sowohl als Teilhaber wie auch Vorstandsmitglied agiert. Er kündigte zwar an, sich von den beiden großen Aktienpaketen noch vor seinem Amtsantritt als Kommissar zu trennen, jedoch scheinen Zweifel an seiner Eignung damit nicht ausgeräumt. In seiner Zeit als früherer Landwirtschafts- und Umweltminister der konservativen Regierung von José María Aznar war Canete in einige Skandale verwickelt und stand dort der europäischen Energiewende und erneuerbaren Energien eher distanziert gegenüber. So machte er hauptsächlich mit ökologisch zweifelhaften Vorschlägen, wie die Einführung von Einmal-Olivenöl-Kännchen in Restaurants oder sexistischen Sprüchen auf sich aufmerksam. So sagte Canete gegenüber dem spanischen Fernsehen, dass er seine sozialistische Rivalin im Wahlkampf geschont hätte, weil sie „eine Frau“ und er ihr „als Mann geistig überlegen“ sei.

Ein anderer designierter Kommissar der starke Verbindungen in die Wirtschaft hat ist Jonathan Hill, welcher in der EU-Kommission das Ressort für Finanzen verantworten soll. Hill ist Gründer der Lobbyfirma Quiller und hält Anteile an der Agentur Multi Huntsworth, welche u.a. die britische Großbank HSBC oder die Londoner Börse im Kampf gegen strengere EU-Finanzmarktregulierungen unterstützte. Als ehemaliger Finanzmarktlobbyist und Mitarbeiter von Magret Thatcher hat Hill somit gute Kontakte zur Londoner City und zur europäischen Finanzmarktlobby. Als Finanzmarktkommissar würde er am Schalthebel für zentrale Themen wie der Finanzmarkregulierung oder der Bankenabwicklung sitzen. Interessanter Weise ist Hill der einzige designierte Kommissar aus der konservativen ECR-Fraktion, an der auch die „Alternative für Deutschland“ (AfD) beteiligt ist. Somit wäre die AfD, bei seiner Wahl, mit ihrer Fraktion, über Jonathan Hill, direkt an der neuen Kommission beteiligt und würde wohl nicht umhin kommen, diese durch ihre Stimmen im Europäischen Parlament zu unterstützen.

Eine ähnliche Fehlbesetzung ist der Ungar Tibor Navracsics von der Fidez, welcher das Ressort für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgerschaft übernehmen soll. Navracsics war bisher unter Victor Orban Außen- und Justizminister und hat die stark kritisierte Reform des ungarischen Rechtssystems zu verantworten, mit welcher die Kompetenzen der ungarischen Justiz stark beschnitten wurden. Dass nun gerade ein loyaler Orban-Getreuer den Posten des Kulturkommissars besetzen soll, ist vielen vor dem Hintergrund der radikalen Kahlschlagpolitik im Kultur- und Medienbereich in Ungarn unverständlich. Die derzeitige ungarische Regierung hatte sich in den letzten Jahren vor allem durch die Aufnahme faschistischer Dichter in Schullehrpläne oder durch Kürzungen regierungskritischer Kultur- und Medienprojekte einen Namen gemacht und weniger durch die Förderung interkultureller und toleranzfördernder Projekte. Als letztes in der Runde soll Alenka Bratusek noch genannt sein. Die scheidende Ministerpräsidentin verlor krachend die letzte Parlamentswahl, nutze aber die Übergangszeit, um sich selbst für den slowenischen Posten in der EU-Kommission vorzuschlagen. Das Juncker sie dann auch wirklich nominierte hatte viele Beobachter überrascht, fehlt Bratusek doch jegliche Unterstützung der großen slowenischen Parteien.

Kontinuität in der Austeritätspolitik

Am 22. Oktober wird das Europäische Parlament über die Kommission en bloc abstimmen und es gilt als unwahrscheinlich, dass die Parlamentarier den Personalvorschlag Junckers durchfallen lassen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die seit dieser Legislatur neuentstandene engere Zusammenarbeit der größten Fraktionen EVP (Christdemokraten) und S&D (Sozialdemokraten) auch bei der Wahl der Kommission Bestand haben wird. Denn bei aller Kritik am Personaltableau, welche auch von den Parlamentariern der neuen „GroKo“ im Europaparlament geübt wurde, stamm en doch die meisten (22 von 28) nominierten Kommissare aus den Parteifamilien von EVP und S&D. Es wäre somit eine Überraschung, wenn es zu einer Wiederholung von 2004 kommen würde, wo Rocco Buttiglione als designierter Innen- und Justizkommissar vom Parlament abgelehnt wurde. Als sicher gilt jedoch heute schon, dass die neue Kommission den eingeschlagenen Weg der neoliberalen Austeritäts- und Wettbewerbspolitik weiterführen wird. Zwar scheint es als nicht ausgeschlossen, dass die Troika über kurz oder lang stärker in europäisches Recht überführt werden und es kleinere Korrekturen am einseitigen Krisenmanagement der EU geben wird. Einen Kurswechsel, oder gar einen Neustart der EU, wie ihn Juncker in seinem Arbeitspapier vollmundig angekündigt hat, wird aber von dieser Kommission nicht ausgehen.