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“Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff”

Screenshot von Investing.com vom 17.03.2020 um 14:20

In Europa steigen wieder die Zinsen für Staatsanleihen. Allein heute sprang der Risikoaufschlag für italienische Anleihen um bisher mehr als 10 %. Auch spanische Anleihen stehen zunehmend unter Druck der Finanzmärkte (vgl. FT, 17.03.2020). Dies ist umso problematischer, da diese Länder einen Großteil ihrer Aktivitäten zur Eindämmung des Corona-Virus über die Anleihenmärkte refinanzieren. Mit dem Wachsen der Kreditkosten steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Schuldenkrise.

Die Reaktionen der Finanzmärkte sind Ausdruck davon, dass die Eurokrise von 2009 auch nach ihrer offiziellen Überwindung noch weiter geschwelt hatte. Während die europäischen Eliten die Krise bereits ab 2012 als überwunden bezeichneten, konnten die südeuropäischen Mitgliedsstaaten ihr wirtschaftliches Niveau von vor der Krise bis heute nicht erreichen (vgl. Sablowski/Schneider/Syrovatka 2018). Zwar sanken zwischenzeitlich die Spreads, d.h. die Zinsen für Staatsanleihen im Vergleich zu Deutschland, jedoch zeigte jede Korrektur an den Aktienmärkten, wie prekär diese Ruhe ist.

Die Ursache dafür liegt darin, dass der Kern der Krise nie wirklich angegangen wurde: die fehlerhafte Konstruktion der Eurozone als auch die Re-Regulierung der Finanzmärkte. Insbesondere eine Reform der Eurozone in Richtung einer Risikoteilung und einer stärkeren Konvergenz der Euroländer wurde hauptsächlich von Deutschland und den nordeuropäischen Ländern mit Verweis auf Moral Hazards und die Gefährdung der europäischen Stabilitätskultur vehement abgelehnt (vgl. Schneider/Syrovatka 2019). Zuletzt biss sich Emanuel Macron mit seinen Vorschlägen eines europäischen Finanzministers und einem Eurozonenbudget die Zähne aus. Die in der Krise institutionalisierten austeritätspolitischen Instrumente dagegen ziele durch ihre einseitige Fokussierung auf Haushaltsdefizite auf eine Festschreibung der Stabilitätsunion (vgl. Syrovatka/Schneider 2019). Ebenso werden nur jene Länder mit Handelsbilanzdefiziten bestraft, nicht jedoch Länder wie Deutschland, die hohe Handelsbilanzüberschüsse aufweisen. Wirtschaftliche Ungleichgewichte werden nur dann bearbeitet, wenn sie nicht der deutschen Exportorientierung widersprechen. Dadurch blieben die bestehenden Ungleichgewichte in der Eurozone bestehen. Hinzu kommt ein weiterhin weitestgehend unregulierter Finanzmarkt. Viele Re-Regulierungen wie das Verbot von Swaps wurden wieder rückgängig gemacht. Die Bankenunion ist weiterhin unvollendet, es fehlt an einem europäischen Einlagensicherungssystem ebenso wie an einem Backstop zur Abwicklung von Zombiebanken (vgl. Guntrum 2019).

Die Eurozone ist wahrlich schlecht aufgestellt für eine erneute Eurokrise, die aller Voraussicht durch die weltwirtschaftlich angehäuften Überkapazitäten in der Produktion, dem weltweiten Finanzcrash durch ein Überangebot an Liquidität als auch durch die Unterbrechung von Liefer- und Produktionsketten (vgl. The Economist, 15.02.2020), noch tiefer und härter ausfallen wird als 2008/2009. Hinzu kommt, dass die EZB heute viel weniger Eingriffsmöglichkeiten hat als noch vor zehn Jahren. Als Lender of Last Resort sind ihre wichtigsten Instrumente abgenutzt. Ihr Pulver ist durch eine jahrelange Politik niedriger Zinsen und Anleihenkäufe weitestgehend verschossen. Nicht umsonst reden wir heute bereits über Helikoptergeld und Ähnliches (Handelsblatt, 17.02.2020).

Die Linke in Europa sollte sich daher auf eine tiefe Krise gefasst machen, die die EU vor dem Rand des Zusammenbruchs stellen wird. Es kommen nun jene Zeiten, in der das Neue endlich geboren werden kann. Dafür dürfen wir den “Monstern” (Zizek) nicht die Bühnen überlassen, sondern ein eigenes Projekt für ein solidarisches Europa formulieren. Ich halte dafür Ideen wie den Green New Deal, der breite Bevölkerungsteile einbinden könnte, als ein geeignetes Projekt, die Krise von Links als historische Situation nutzbar zu machen.

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Europa hat gewählt

Die Europawahlen sind vorbei. Europa hat gewählt. Man kann folgende vier Trends zusammenfassen:

1.) der befürchtete rechte Durchmarsch ist ausgeblieben, auch wenn die patriotische Allianz groß wird. Vor allem in Nordeuropa bleiben die Rechtspopulisten hinter den Erwartungen zurück. Dennoch sind die Rechten stärker geworden und insbesondere in den großen südeuropäischen Ländern Frankreich und Italien haben sie die Wahl gewonnen. Es wird sich zeigen, wie die PiS aus Polen und die Fidez aus Ungarn sich entscheiden werden. PiS wird der Fraktion „Patriotische Allianz“ sehr wahrscheinlich beitreten, bei Fidez liegt es wohl daran, ob sie die EPP-Fraktion verlassen müssen. Insgesamt bleibt die Mehrheit der Pro-EU-Parteien aber stabil. Viel gefährlicher für das EU-Projekt werden die Verhandlungen um die Kommissionsplätze werden. Hier besteht die Möglichkeit, dass es einen rechtsradikalen Kommissar geben kann, wenn die rechtsradikalen Parteien in Regierungsverantwortung sich abstimmen.

2.) Die Volksparteien sind überall auf dem Rückzug (mit einigen Ausnahmen). Es gibt erstmals keine Mehrheit aus Sozialdemokratie und Konservativen im Europaparlament. Das deutet auf einen Kollaps des europäischen Parteiensystems in ganz Europa hin. Eine Folge der Eurokrise, welche sich in eine tiefe politische Krise transformiert hat.

3.) die Grünen und die Liberalen sind die Gewinner der Europawahl2019. Vor allem in den großen Ländern (Deutschland und Frankreich) haben die Grünen wider erwartet starke Ergebnisse eingefahren. Knapp 70 Mandate ist eine Ansage und m.E. auch die Folge der europaweiten Klimaproteste der letzten Monate. Bei den Liberalen wird sich zeigen, ob Macron was Eigenes macht oder zu ALDE geht und eine gemeinsame Fraktion bildet. Vor allem in Osteuropa sind die Liberalen außergewöhnlich stark etwa in Rumänien.

4.) Die Linke ist neben der Sozialdemokratie DER Verlierer der Wahl. Die Financial Times rechnet mit nur 42 Mandaten und damit knapp 10 Mandate weniger. Die deutsche Linke und die französische. FI haben desaströse Verluste hinnehmen müssen. Auch SYRIZA hat herbe Verluste hinnehmen müssen. Die GUE/NGL wird wahrscheinlich die kleinste Fraktion im EP, wenn EFDD sich auflösen sollte. Alternative linke Europaparteiprojekte wie Diem25 sind krachend gescheitert.

Gestern Abend habe ich um 21:30 Uhr für den @halbzehn-Podcast die Ergebnisse analysiert und eine erste Einschätzung dazu abgegeben. Ich war sehr aufgeregt, weshalb mir natürlich erst danach dann eingefallen ist, was ich alles vergessen habe zu sagen. Aber in 20 Minuten ist das auch wirklich eine Herausforderung. Hört gerne rein und zwar hier: oder auf Spotify etc.:

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Wie weiter mit der Eurozone?

Nun hat sich also auch Angela Merkel zu Wort gemeldet: Wie soll die angestrebte »Vertiefung und Vollendung« der Wirtschafts- und Währungsunion aussehen? Welche Vorschläge für die Eurozone liegen auf dem Tisch? Welche Konflikte gibt es? Teil I eines ausführlichen Hintergrunds von Felix Syrovatka vor dem Brüsseler Gipfel Ende Juni. Der Text erschien am 04. und 05.Juni 2018 auf dem Blog der Zeitschrift OXI. Wirtschaft  anders denken.

https://www.flickr.com/photos/chrisgold/8126371893/in/photolist-do6Mfe-oLL61i-oLKXWt-oLL5bn-81R2b1-9aExUg-aw834s-dQ9hjJ-e6rj7f-26QUZbt-9A3SSE-oLu6vp-oJJiyw-aDJ7tP-9A1h9v-cUf1A3-cbjCvS-c1GVz1-arBVNg-aME6Ee-ougMSq-9A3Emy-oJKDhs-aq9UXS-9A1ucF-oLuz5T-8GDLRh-oLup5n-aTgQo4-oLuDVK-7JkhXk-cjeXyY-oJJEeu-ouh4jM-25trfcz-ouhLp5-oLJrb9-oLL32c-eKrxKe-oLuBSr-aME35V-nzNKRM-oJKEF9-aMDQvv-oLJsjG-aMDSik-aME7R2-oLLy34-eKCYvd-aWGwZg
Baustelle Eurozone. Bildquelle: Chris Goldberg via Flickr.com (https://bit.ly/2Jz6DVy) | Lizenz: CC BY-NC 2.0 (https://bit.ly/1jNlqZo)

Ende Juni soll es nun endlich soweit sein. Auf dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel Ende Juni soll über die Vorschläge zur »Vertiefung und Vollendung« der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) beraten werden. Fünf Jahre nach dem offiziellen Start der Debatte durch ein Papier der europäischen Präsidenten von Kommission, Rat, EZB und der Eurogruppe scheint es nun endlich ans eingemachte zu gehen. Seitdem wurden zahlreiche Vorschläge und Konzepte entwickelt wie die Eurozone reformiert, vertieft oder erneuert werden kann. Zuletzt hatte das Interview mit Angela Merkel in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« für Aufregung gesorgt, in der sie ihre Vorstellungen zur Eurozonenreform darlegte.

Aufgrund der Vielzahl an Papiere und Stellungnahmen erscheint jedoch die Diskussion bisweilen unübersichtlich und missverständlich. Eine Übersicht über die verschiedenen Papiere und Vorschläge findet sich hier.

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Wie groß wird das Eurozonenbudget?

Der Aufreger des letzten Jahres schrumpft zu einem Treppenwitz der Geschichte. Das Eurozonenbudget schrumpft zum Zwerg. Macron hatte im Wahlkampf und danach auch auf europäischer Ebene für ein Budget der Eurozone von „mehreren Prozent des BIP“ gestritten. Aus der Logik seines französischen Leitbildes einer europäischen Wirtschaftsregierung ist ein solches Budget essenziell, ermöglicht es doch makroökonomische Spielräume für einen möglichen europäischen Wirtschaftsminister. Der Gedanke hinter einem solchen Budget ist, dass im Fall konjunktureller Probleme, die EU antizyklisch intervenieren, Krisen im Euroraum abfedern und den Euro stabilisieren könnte. Dazu muss das Budget jedoch etwa größer sein und im besten Fall nicht im EU-Budget verankert.

Von der Forderung Macrons scheint nun jedoch nur die Hülle übriggeblieben zu sein. Wie die FAZ und Eurointelligence berichten, hat die Kommission einen ersten Entwurf für ein solches Budget vorgelegt. Das Eurozonenbudget wäre somit Teil des EU-Budgets und soll nicht mehr als 25 Milliarden Euro betragen, gestreckt auf einen Zeitraum von 7 Jahren, was in etwa 3 Milliarden pro Jahr sind. Das BIP der Eurozone pro Jahr liegt bei ca. 10 Billionen. Ich musste die Zahlen auch mehrmals lesen, um zu verstehen, was das eigentlich soll. Denn letztendlich wäre das Budget so groß wie 0.03% des BIP und damit in Krisenzeiten sinnlos. Es wäre ein Witz.

Aus dem sinnvollen Vorschlag der französischen Regierung hin zu einer Vertiefung der Währungs- und Wirtschaftsunion vor dem Hintergrund des Leitbilds der europäischen Wirtschaftsregierung ist ein Treppenwitz geworden. Merkel und die Deutsche Bundesbank verteidigen eisern das deutsche Leitbild der Stabilitätsunion. Wie auch schon 2012, als der frischgewählte Francois Hollande, mehr Investitionen forderte und sein Wachstumspakt so klein ausfiel, das niemand bemerkte, dass es ihn gab. So ähnlich wird es wohl auch dem Eurozonenbudget in Zukunft ergehen…

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Kein Bruch mit dem Spardiktat

Im Dezember haben Etienne Schneider und ich einen Text in der PROKLA veröffentlicht, in dem wir argumentieren, dass der deutsch-französischen Bilitarialismus in Fragen der europäischen Wirtschaftsintegration blockiert ist. So stehen sich das deutsche Leitbild der Stabilitätsunion und das französische Leitbild der Wirtschaftsregierung unvereinbar gegenüber und blockieren somit einen Kompromiss, der eine tiefere Integration und eine Lösung der fundamentalen Probleme der Eurozone ermöglichen würde. Seitdem ist viel passiert.

So haben 14 deutsch-französische Ökonomen Anfang Januar ein gemeinsames Papier veröffentlicht, von dem  ein Impuls ausgehen sollte, diese Blockade aufzulösen. Ziel des Papiers war es einen „Kompromiss“ zwischen den beiden Position zu formulieren, um „Risikoteilung und Marktdisziplin in Einklang“ zu bringen. Dabei wurden weniger neue Forderungen formuliert, als Altbekanntes erneut zur Diskussion gestellt. Die gemeinsame Einlagensicherung wurde ebenso beschworen wie die Eigenkapitalunterlegung bei Staatsanleihen oder die europäische sichere Anlage. Auch die Ausweitung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF – wie er eigentlich schon beschlossene Sache ist) wurde implizit angesprochen sowie die Forderung nach einer gemeinsamen Fiskalkapazität (einer alten Forderung der Franzosen). Neu dagegen waren drei Punkte:

  • Abschwächung der Fiskalregeln durch den Fokus auf eine längerfristige Haushaltstabilisierung. Zugleich jedoch sieht das Papier die Schaffung eines Strafmechanismus vor, der die Defizitländer dazu zwingen soll, „überschießende Ausgaben durch nachrangige Staatsanleihen (‚Accountability Bonds‘)“ (S.5) zu finanzieren, womit sie dem Druck der Kapitalmärkte direkt ausgesetzt wären. Dies hätte einen stärkeren Zwangscharakter zu Reduzierung der Ausgabenlast „als die derzeitige Androhung von Strafen, die noch nie durchgesetzt wurden“ (ebd.)
  • Die Schaffung eines Insolvenzmechanismus für Staaten. Dazu gab es einige Diskussionen sowohl von links als auch von rechts (Kritik an der Idee siehe bspw. in der ZEIT). Das Papier spricht sich dafür aus, dass eine geordnete Schuldenrestrukturierung stattfinden soll, jedoch nicht als Automatismus.
  • Die Installation einer externen Institution für eine stärkere Überwachung der Wirtschaftspolitiken in der Eurozone. Diese Institution soll entweder von der Kommission oder vollständig extern kontrolliert werden. In diesem Sinne war weder von Rechenschaftspflicht, noch von einer demokratischen Mitbestimmung des Parlaments die Rede. Einzig der ESM, der zur alleinigen Kreditvergabeinstitution ausgebaut wird, soll „einem Ausschuss des Europäischen Parlaments die Hilfsprogramme erläutern und rechtfertigen“, muss jedoch keine Mitbestimmung durch das Parlament selbst befürchten (S. 7)

Insgesamt gehen die Vorschläge der Ökonomen nicht über die geführte Diskussion hinaus und brechen aus meiner Sicht auch die Widersprüchlichkeit zwischen den beiden deutsch-französischen Leitbildern nicht auf. So ist zwar in einem Satz von einem hauptamtlichen Eurogruppenchef die Rede, jedoch davon nicht welche Aufgaben er besitzt. Vielmehr scheint es, dass durch die Ausgliederung der wirtschaftspolitischen Überwachung in eine externe Institution (die noch weniger demokratisch überwacht werden kann als die Kommission), der Forderung von Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker nach einem Eurozonenkommissar, zuvorgekommen werden soll. Ein Eurozonenkommissar würde damit letztendlich zu einem Pappkameraden werden, eingeklemmt zwischen dem mächtigen EWF und einer neuen wirtschaftspolitischen Überwachungskommission. Zugleich bleibt es weiterhin mehr als fraglich, ob die progressiven Vorschläge, wie etwa eine gemeinsame Fiskalkapazität oder die Aufweichung der Fiskalregeln in der aktuellen politischen Gemengelage überhaupt durchsetzbar wären.

Dies zeigt etwa ein Blick auf den Entwurf des Koalitionsvertrags zwischen SPD und CDU. Dieser wurde von der Presse gefeiert, da das Europakapitel nun an erster Stelle steht. Dies sei ein Zeichen an die Macron-Administration, dass man es ernst meine mit Europa. Ein genauer Blick zeigt jedoch vor allem ein Festhalten am altbekannten Leitbild der Stabilitätsunion. Der Fokus bleibt auf Währungsstabilität und Wettbewerbsfähigkeit ergo Austerität und Lohnzurückhaltung.

So steht neben vielen Allgemeinplätzen und pathetischen Bekenntnissen zur Europäischen Union  etwa folgender Satz:

Dabei bleibt der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in Zukunft unser Kompass. Stabilität und Wachstum bedingen einander und bilden eine Einheit. Zugleich muss auch künftig das Prinzip gelten, dass Risiko und Haftungsverantwortung verbunden sind.“ (S.9).

Dies bedeutet nichts anderes, als dass auch in Zukunft nicht mit einer europäischen Wirtschaftsregierung zu rechnen ist, wie sie sich Macron und die französischen Regierungen vor ihm ausgemalt hatten. Auch insgesamt findet sich kein Wort zu den französischen Vorschlägen eines europäischen Finanzministers oder einer Fiskalkapazität. Vielmehr wurde der deutsche Vorschlag eines kleinen Eurozonenbudgets wieder aufgenommen, der jedoch im Rahmen des EU-Haushalts verbleiben und an die „Strukturreformen“ (S.8) geknüpft werde soll. Dies ist jedoch nichts anderes als der Plan einer weiteren „Zuckerbrot-und-Peitschen“-Regelung, wie sie bereits mehrfach auch im 5-Präsidentenpapier oder in der Reform der Kohäsionsfondsrichtlinien angeklungen sind. Der von Martin Schulz gefeierte „Investitionshaushalt“ steht übrigens nur in einem Nebensatz und dort auch nur im Konjunktiv. Ein Durchbruch oder gar ein Zugeständnis an Macron sieht wirklich anders auch.

Daneben findet sich im Koalitionsvertrag ein eindeutiger Satz zum Europäischen Währungsfonds (EWF). Dieser soll den ESM ersetzen und fortan die Kreditvergabe an notleidende Eurozonenländer regeln. Der EWF wurde sowohl von Seiten der deutschen Bundesbank und des Finanzministeriums als auch von französischer Seite befürwortet. Unter dem Begriff verstehen jedoch beide Seiten etwas vollkommen anderes. Während Frankreich den EWF als eine Institution mit Investitionsrecht konzipiert hat, sieht die deutsche Seite darin primär einen neuen Hebel zur Durchsetzung von Fiskaldisziplin und Austeritätspolitik. Ein Entgegenkommen an die französische Position in Fragen der europäischen Wirtschaftsintegration kann daher nicht in diesem Satz hineininterpretiert werden, trotz der Beschwörung des deutsch-französischen „Innovationsmotors“ (S. 9).

Interessant ist jedoch ein ganz anderer Absatz im Koalitionsvertrag. Nämlich jener, in dem die Europäische Arbeitsmarktpolitik verhandelt wird. So steht auf Seite 7 folgender Satz:

„Wir wollen einen Rahmen für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten entwickeln. Wer konsequent gegen Lohndumping und soziale Ungleichheiten in wirtschaftlich schwächeren Ländern in Europa kämpft, sichert auch den Sozialstaat und die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland“

Hier scheinen sich die Koalitionäre zum einen auf die umstrittene Reform der Entsenderichtlinie zu beziehen und ihre Zustimmung zu französischen Position zu bekräftigen. Aber wenn man den Satz genauer liest, steht hier ein viel interessanterer Punkt drin. So scheinen beide Parteien dazu gewillt zu sein, gemeinsame europäische Regelungen für Mindestlöhne und Grundsicherungen zu schaffen. Damit beziehen sie sich auf die Europäischen Säule Sozialer Rechte und des darin postulierten Rechts auf „angemessene Mindestlöhne“. Zwar war diese Formulierung nicht nur Wage, sondern zugleich auch nicht verbindlich, jedoch hatte Daniel Seikel bereits im Dezember in einem WSI Policy Papier argumentiert, dass dies ein Ansatzpunkt für eine „europaweit koordinierte Mindestlohnpolitik genutzt werden“ (S.7) könnte (vgl. auch Schulten/Müller 2017). Dabei scheint es hier jedoch besonders wichtig zu sein, genau hinzuschauen, wie genau diese Regelung am Ende aussehen wird. Ich persönlich bin doch sehr skeptisch, ob dies eine Wende in der europäischen Lohnpolitik einleiten wird.

Zusammengefasst könnte man also sagen, dass irgendwie alles beim alten geblieben ist. Während sich das Papier der „Top-Ökonomen“ (SPIEGEL ONLINE) wenigstens die Mühe gemacht hat, mögliche Kompromisspositionen zu formulieren, bleibt der Entwurf des Koalitionsvertrag eine Zementierung der deutschen Position einer europäischen Stabilitätsunion. Ein Bruch mit dem „europäischen Spardiktat“, wie Martin Schulz den Koalitionsvertrag genannt hat, sieht anders aus. Ganz anders. Für die Eurozone und ihre Probleme scheinen daher keine Lösung am politischen Horizont erschienen zu sein. Dies ist jedoch ist hoch problematisch, sind doch weiterhin massive Risiken in den Bankbilanzen und auch im Euroraum versteckt. Die starken Kursschwankungen an den weltweiten Börsen haben zudem gezeigt, dass die aktuelle Situation an den Finanzmärkten höchst volatil ist und eine erneute Krise schneller kommen kann als man denkt. Auf einen erneuten Einbruch der Weltwirtschaft scheint die Eurozone jedoch nicht vorbereit zu sein. Dies hat der französische Finanzminister Bruno Le Maire letztens noch einmal betont, als er sich zugleich gegen einen, von Deutschland präferierten automatischen Insolvenzmechanismus für Staaten in der Eurozone wehrte. Die EU braucht resiliente und demokratische Strukturen, um einen erneuten Wirtschaftseinbruch zu überstehen. Diese sind jedoch aufgrund der aktuell blockierten Kompromissdynamik jedoch nicht zu erkennen.

 

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Re-Industralisierung Frankreichs?

In Frankreich werden wieder Fabriken gebaut und Jobs im industriellen Sektor geschaffen. Die Financial Times sieht Frankreich daher wieder im Aufschwung. Aber ist das die Trendwende des industriellen Niedergangs Frankreich? Ich bleibe skeptisch, liegt doch nicht nur die Arbeitslosigkeit bei 9%, sondern auch das Wirtschaftswachstum bleibt nach Jahren der Stagnation hinter den Erwartungen und auch im globalen Vergleich zurück. Zugleich haben sowohl Hollande als auch Macron (bisher) wenig getan, um eine neue französische Industriepolitik anzustoßen. Die französische Industrie ist heute – im Vergleich zu jener jenseits des Rheins – nicht nur immer noch zu teuer und zu wenig produktiv, sondern auch zu wenig innovativ.

Ich sehe das Problem der französischen Industrie v.a. im Bereich von Innovationen und Forschung. Alain Lipietz hat in einem Beitrag, der 1998 auf Deutsch erschien, darauf aufmerksam gemacht, dass
hochspezialisierte Industrien deutlich häufiger in Hochlohnländer angesiedelt bleiben als standardisierte Industrien. Frankreich hat Ende der 1980er Jahre den Fehler gemacht, seine Industrieförderung („Colbertismus“) vollständig einzustellen, die Finanzialisierung der Wirtschaft voranzutreiben und zugleich nicht geschafft, das Bildungssystem zu reformieren. Zwar mag Frankreich im Innovationsranking (wo u.a. die Bonität der Länder mit einspielt) vor Deutschland und den USA liegen, jedoch liegt Frankreich (72,32 Patente) was die Anzahl der Patente pro eine Millionen Einwohner deutlich hinter Deutschland (123) und den USA (129) zurück. Zugleich ist die Anzahl der Patente in der Industrie in Deutschland nochmal deutlich stärker als in Frankreich.

Dies liegt auch daran, dass es in Deutschland einen breiten Mittelstand gibt, der in der Vergangenheit immer wieder Treiber von Innovationen war. Einen solchen Mittelstand gibt es in Frankreich aufgrund der spezifischen Industrieförderung zwischen 1945 und 1984 nicht, welche internationale Champions kreieren wollte. Schon gar nicht im Industriesektor, der bis in die 80er Jahre hinein stark reguliert war.

Die Überlegungen würden eine eigene Forschungsarbeit begründen, jedoch zeigt die kurze Überlegung, dass die Deindustrialisierung der französischen Wirtschaft nicht primär aufgrund der hohen Löhne und des komplizierten Arbeitsrecht erfolgt ist. Es ist eine unterkomplexe Begründung, die deutschen Exportüberschüsse einzig auf die niedrigen Löhne zu schieben und nicht die spezifische Struktur der deutschen Produktio

Jean François via Flickr.com, CC BY-ND 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/)

n mitzudenken. Daher denke ich, dass der „Aufschwung“ in Frankreich v.a. im industriellen Sektor v.a. den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen geschuldet ist und nicht als Zeichen einer langfristigen Re-Industralisierung gewertet werden kann.

Bildquelle: Jean François via Flickr.com, CC BY-ND 2.0