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Der linke Hamon: Aufwiegler, Widerständler, Präsident?

Es ist ein Misstrauensvotum für François Hollande und seine neoliberale Politik der vergangen fünf Jahre – ausgestellt von seiner eigenen Partei. Denn mit Benoît Hamon hat sich in den Vorwahlen der französischen Sozialdemokraten einer seiner schärfsten Kritiker durchgesetzt. Er geht nun als Spitzenkandidat der »Sozialistischen Partei« (PS) bei den französischen Präsidentschaftswahlen im April ins Rennen. Mit Hamons Wahl manifestiert sich ein Linksruck in der PS, der sich seit der wirtschaftspolitischen Wende von Francois Hollande abgezeichnet hatte.

 Linker Aufwiegler: Hamon und die Flügelkämpfe in der PS

In der Bretagne und Dakar aufgewachsen, hat Hamon keine klassische Kaderausbildung erhalten. Anders als die meisten französischen PolitikerInnen war er nie auf einer der französischen Eliteuniversitäten (Grandes Écoles), sondern studierte Geschichte in Rennes und Brest.

Dennoch konnte sich der heute 49-Jährige relativ schnell in der Partei durchsetzen. Seine politische Basis blieb dabei lange Zeit der Jugendverband »Bewegung der jungen Sozialisten«, den er mitbegründete und ihm als langjähriger Präsident vorstand. Zugleich engagierte sich Hamon schon früh im linken Flügel der Partei und gründete verschiedene linke Netzwerke und innerparteiliche Gruppierungen.

Auf seine Netzwerke konnte er 2008 auf dem Parteitag in Reims zurückgreifen, als die Flügelkämpfe in der PS eskalierten. Hatte es im Vorfeld der Partei schon schwere Auseinandersetzungen gegeben, zeigte sie sich in Reims über ihre inhaltlichen Ausrichtung und der Wahl des Präsidentschaftskandidaten tief zerstritten. Die Spaltungslinien zwischen traditionellen Linken und eher neoliberalen Anhängern des sozialdemokratischen »New Labours«, die dort offen zutage traten, sollten die Partei bis heute prägen. Die Auseinandersetzungen gipfelten 2008 im Austritt von Teilen des linken Flügels um Jean-Luc Mélenchon. Anders als dieser trat Hamon jedoch nicht aus der Partei aus, sondern versuchte den linken Flügel nach zahlreichen Zerwürfnissen wieder zu konsolidieren. Als Mitbegründer einer der wichtigsten linken Strömungen in der Partei, »Un Monde d’Avance« (Eine Welt voraus) und mit seiner Wahl zum Parteisprecher gelang es ihm, sich innerhalb der Partei zu etablieren und zu einer wichtigen Stimme des linken Parteiflügels zu werden.

Regierungsmitglied und scharfer Kritiker der Kürzungspolitik

Mit der Wahl von Francois Hollande zum Staatspräsidenten wurde Benoît Hamon in die Regierung berufen: Erst als beigeordneten Minister für soziale Ökonomie und zwei Jahre später dann zum Bildungsminister. Schon damals galt Hamon als einer der schärfsten Kritiker der europäischen Kürzungspolitik und des deutschen Spardiktats. Noch vor seinem Amtsantritt kritisierte er die Wirtschaftspolitik der deutschen Bundeskanzlerin und forderte die eigene Regierung auf, die deutsche Dominanz in Europa zu brechen. Dennoch holte Präsident Hollande ihn ins Kabinett, vor allem mit dem Ziel, den linken Flügel der Partei in die eigene Regierungspolitik einzubinden und die immer lauter werdenden kritischen Stimmen einzufangen.

Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Sowohl mit Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, ebenso Vertreter des linken Flügels, als auch mit Benoît Hamon waren nun zwei prominente Kritiker neoliberaler Politik in der Regierung, die ihre Position zu nutzen wussten. Nachdem beide zeitgleich in getrennten Zeitungsinterviews den wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung von Manuel Valls scharf kritisierten und eine sozialpolitische Wende einforderten, wurden sie von Francois Hollande aus der Regierung entfernt.

Tiefe Risse treten offen zu Tage

Schon die Berufung von Manuel Valls als Vertreter des rechten Parteiflügels zum Premierminister hatte die Mehrheitskultur in der Sozialistischen Partei erschüttert. Der Rauswurf der beiden Repräsentanten des linken Flügels stellte jedoch einen handfesten Skandal in der Partei dar. Denn nun kamen aus dem rechten Parteiflügel, welcher nie wirklich mehrheitsfähig war, fast alle Minister in der Regierung. Konnte der Wahlsieg von Francois Hollande bei den Präsidentschaftswahlen die tiefen Risse und Spaltungslinien in der Partei überdecken, traten sie nun offen zutage.

Der linke Parteiflügel ging auf Konfrontation. Als Abgeordneter der Nationalversammlung organisierte Benoît Hamon in erster Reihe den Widerstand gegen die eigene Regierung. Als Mitglied der »Frondeurs« (Aufwiegler), einer Gruppe von Abgeordneten, die den Kurs der Regierung kritisierten, verweigerte er wichtigen Reformprojekten die Zustimmung. Während der Auseinandersetzungen um die Arbeitsrechtsreformen im letzten Sommer solidarisierte Hamon sich mit den Protesten der Gewerkschaften und der Nuit Debout-Bewegung. Die »Frondeure« setzten mit der Verweigerung ihrer Zustimmung zu dem Gesetz die Regierung unter Druck und zwangen sie zur Umgehung des Parlaments über den Notparagrafen 49-3. Präsident Hollande und Regierungsschef Valls regierten per Dekret.

Neuanfang der Sozialdemokraten – aber reicht es für die Wahl?

Trotz seines Wahlsiegs in den Vorwahlen wird Hamon mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr wesentlich ins Präsidentschaftsrennen eingreifen können. In aktuellen Umfragen liegt er mit rund 13 Prozent auf Platz vier, deutlich hinter der Kandidatin des rechtsradikalen Front National, Marine Le Pen (25 Prozent). Auch der konservative Francois Fillon (21 Prozent) und der liberale Emmanuel Macron (20 Prozent) liegen demnach vor dem Sozialdemokraten.

Die Wahl Benoît Hamons hat vor allem innerparteiliche Signalwirkung. Sie steht für einen Neuanfang und einem Bruch mit der katastrophalen Politik unter François Hollande. Das politische Programm von Hamon ist daher als Gegenprogramm zur bisherigen Politik der sozialistischen Regierung zu verstehen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Einführung einer Vermögenssteuer oder die Senkung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden stehen in einem starken Kontrast zur neoliberalen Kürzungspolitik unter François Hollande und Manuel Valls. Seine Nominierung kommt damit einer Distanzierung der Partei von der Politik ihrer eigenen Regierung gleich.

Rechter Protest, linke Bündnisse

Der hohe Kontrast zwischen den zwei Parteiflügeln stellt die Sozialdemokratische Partei vor eine Zerreißprobe. Mehrere Abgeordnete und Funktionäre des rechten Parteiflügels haben bereits angekündigt, statt Benoît Hamon lieber den ehemaligen Wirtschaftsminister und unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron zu unterstützen. Einige von ihnen haben ihren Austritt aus der Partei bereits angekündigt.

Die Aufgabe von Benoît Hamon wird es daher sein, die Scherben aufzusammeln, die Hollande hinterlassen hat, und die Sozialistische Partei langfristig zu einer linken Partei zu machen. Diese Aufgabe wird nach jahrelanger Dominanz des neoliberalen Parteiflügels nicht leicht werden und bedarf nicht zuletzt der Zusammenarbeit mit den anderen linken Parteien. Den ersten Schritt hat Benoît Hamon bereits getan: Er hat sowohl den Grünen als auch der linken Bewegung »France insoumise« (Widerspenstiges Frankreich) um Jean-Luc Mélenchon die Zusammenarbeit angeboten.

Bildquelle: Parti Socialiste/ Flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Der Text erschien am 31.01.2017 im Neuen Deutschland

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Emmanuel Macron erstmals vor Fillon!

Es ist passiert. Die ersten Umfragen sehen den ehemaligen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron erstmals vor dem konservativen Kandidaten Francois Fillon. Damit tragen die Umfragen die Skandale um die fiktive Anstellung seiner Frau und seiner Kinder (#PenelopeGate) Rechnung. Fillon hatte in seiner vergangenen Karriere mehrfach seine Frau wie auch seine Kinder angestellt, obwohl sie gar nicht für ihn gearbeitet hatten bzw. im Fall seiner Kinder gar nicht über die benötigte Qualifikation verfügten. Dieser Skandal hat nun Fillons politisches Image als Saubermann, aufgrund dessen er sich gegen Juppé und Sarkozy durchsetzen konnte, fast vollständig zerstört.

Neuste Umfragen sehen Macron vorne

Nun orakeln die neusten Umfragen des Wirtschaftsmagazins Les Echos, dass Macron erstmals Fillon in der öffentlichen Zustimmung überholt haben soll. Danach liegt mit 27% Marine Le Pen an erster Stelle, danach folgt Emmanuel Macron mit 23% und Francois Fillon mit 20%. Die stärksten Gewinne hat der frisch gewählte sozialistische Kandidat Benoît Hamon zu verzeichnen. Er kommt auf 16%, während der Kandidat der Linksfront Jean-Luc Mélenchon die stärksten Verluste zu verzeichnen hat und nur noch 10% der Stimmen auf sich vereinigen könnte.

Hier zeigt sich, dass das zwischenzeitliche Hoch von Mélenchon vor allem durch linke Sozialdemokraten zustande gekommen ist. Nach der Wahl von Hamon in den Vorwahlen, der zum linken Flügel der PS gezählt wird, kommen diese WählerInnen wieder zurück zu PS. Gleichzeitig wenden sich die rechten Sozialdemokraten von der Sozialistischen Partei ab und tendieren zu Emmanuel Macron, ebenso wie die enttäuschten WählerInnen der Konservativen. Diese sind nämlich entweder zu Le Pen oder zu Macron gewandert.

Es kann noch viel passieren

Nun bis zum Wahltag im April kann noch viel passieren. Der französische Wahlkrimi ist noch lange nicht zu Ende. Würde es aber zu einem Duell zwischen Macron und Le Pen kommen, würde es sehr gut die gesellschaftliche Polarisierung im Land zwischen Kosmopolitismus und Kommunitarismus widerspiegeln. Am Ende würde sich jedoch deutlich Macron durchsetzen, auch weil er für viele linke Sozialdemokraten wählbarer ist als Francois Fillon. Die Les Echos-Umfrage sieht hier in der zweiten Runde Macron bei 65% und Marine Le Pen bei 35%. Das Duell Fillon-LePen wäre weniger deutlich im Ausgang. Hier sieht Les Echos Fillon bei 59% und Le Pen bei 41%.
Bildquelle: European External Action Service/Flickr.com (CC BY-NC 2.0)

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Rückkehr nach Reims in der PS?

Eben ging über den Ticker, dass Benoît Hamon die Vorwahlen der Sozialisten gewonnen hat. Damit steht die Sozialistische Partei vor einer Zerreißprobe wie 2008, als auf dem Parteitag in Reims der linke Flügel um Jean-Luc Mélenchon die Partei verlassen hat. Nur das es heute wohl der rechte Flügel ist, der vor dem Austritt steht. Vor der heutigen Stichwahl haben sich die Stimmen sozialistischer Funktionsträger gemehrt, die bei der Wahl von Hamon einen Austritt aus der PS in Erwägung gezogen haben.

Zugleich gibt es jedoch guten Kontakt zur Linksfront. Melenchon hat letzte Woche in einem Interview eine mögliche Wahl Hamon begrüßt und es als Kulturwechsel in der PS interpretiert. Es wird spannend werden, in wie fern hier eine weitere Annährung zustande kommen kann und ob die PS langfristig überhaupt noch eine langfristige politische Perspektive hat, trotz der heutigen Linksverschiebung.

Für die Präsidentschaftswahlen ist die heutige Nominierung Hamons interessant, wird sie doch v.a. die Hollandisten und rechten PS-Wähler zu Emmanuel Macron führen. Macron wird von der Linksverschiebung in der PS profitieren und hat damit gute Chancen in die Stichwahl zu kommen. Zumal der konservative Kandidat Francois Fillon durch den #PenelopeGate politisch in die Ecke gedrängt ist. Die Tageszeitung Le Monde hat gestern spekuliert, dass seine Nominierung von den Republikanern zurückgezogen werden könnte. Sie sieht das politische Image Fillons mittlerweile vollständig zerstört. Dies wäre jedoch für LR der totale GAU.

In Frankreich ist knapp 3 Monate vor den Präsidentschaftswahlen das politische System in Unruhe geraten. Da Wahlen immer politische Verdichtungspunkte darstellen, wird die fundamentale Krise in Frankreich zunehmend an die Oberfläche. Frankreich wird nach den Wahlen nicht mehr so sein wie heute. Die zwei großen Parteien sind in der Defensive und werden mit immer größer werdender Wahrscheinlichkeit keinen Kandidaten in der Endrunde haben. Dies wäre das erste Mal seit der Gründung der V.Republik. Zugleich treten die Spaltungslinien sowohl in der Sozialistischen Partei als auch bei den Konservativen immer offener zu Tage.

Update:

Umfragen von heute haben die These bestätigt. Während Emmanuel Macron vom Vorwahlergebnis der PS profitieren kann, ist Mélenchon der große Verlieren. Das Umfrageinstitut SOFRAS sieht ihn derzeit bei 10% und damit 3 Prozentpunkte hinter Bonît Hamon, der auf 13% kommt. Beide spielen aber nicht wirklich eine Rolle um dein Einzug in die zweite Runde. Dort ist Marine Le Pen mit 25% unangefochten die Nr. 1 in den Umfragen. Dahinter gibt es ein Kopf an Kopf-Rennen zwischen dem Konservativen Francois Fillon (21%) und dem ehemaligen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron (20%). Es zeigt es wird spannend.

 

Bildquelle: Parti Socialist/Flickr.com – © philippe grangeaud

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Wende bei den Präsidentschaftswahlen?

Der #PenelopeGate erschüttert den französischen Präsidentschaftswahlkampf. Der Spitzenkandidat der konservativen Partei „Les Republicans“, Francois Fillon, hat jahrelang seine Frau als parlamentarische Assistentin beschäftigt, ohne dass sie jemals politisch für ihn gearbeitet hätte. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Francois Fillon wegen Veruntreuung von Staatsgeldern. Ein politischer Skandal ohne Gleichen. Zugleich wurde heute bekannt, dass die rechtsradikale Spitzenkandidatin Marine Le Pen rund 350.000€ an das Europaparlament zurückzahlen muss. Sie hatte über mehrere Jahre parlamentarische Assistenten auf Kosten des EPs beschäftigt – jedoch nicht in Brüssel, sondern in der Parteizentral der Front National.

Während der Skandal Marine Le Pen bisher nicht wirklich geschadet hat, scheint der #PenelopeGate für Francois Fillon ein herber Schlag zu sein. Die Zeitungen sind voll von Kommentaren, die Medien berichten über kaum etwas anderes und Fillon selbst ist nun in der Bringschuld. Es ist sogar möglich, dass ihn dieser Skandal die sichergeglaubte Präsidentschaft kosten wird. Denn seit einiger Zeit sinken seine Umfrageergebnisse, während der ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron ihm zunehmend im Nacken sitzt. Macron, politischer Quereinsteiger mit Saubermannimage, wird von diesem Skandal profitieren. Zudem wird Macron am kommenden Sonntag die wahrscheinliche Wahl von Benoît Hamon in den Vorwahlen der Sozialisten weitere Stimmen zuspielen. Er könnte somit bei den nächsten Umfragen an Fillon vorbeiziehen.

Damit birgt der #PenelopeGate die Möglichkeit einer zentralen Wende im Präsidentschaftswahlkampf in sich. Und dem wo möglichen Ende der zwei großen französischen Volksparteien. Denn mit Emmanuel Macron und Marine Le Pen wären dann zwei KandidatInnen in der zweiten Runde, die weder durch die Konservativen noch durch die Sozialisten nominiert wurden. Es wäre eine politische Revolution. Zudem wäre es ein Duell zwischen den „neuen gesellschaftlichen Konfliktlinien“ (WZB-Mitteilungen) Kommunitarismus und Kosmopolitismus.

Noch sind es aber knapp 3 Monate bis zur ersten Runde und bis dahin kann noch eine Menge passieren. Dennoch wird Fillon diesen Skandal nicht so schnell unvergessen machen können. Er wird auf jeden Fall Feder lassen müssen, was ein Duell Macron vs. Le Pen in der zweiten Runde wird damit auf jedoch wahrscheinlicher.

Bild: UMP/ CC-Lizenz Flickr.com

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Vorwahlen in der PS: Flügelkampf

Heute fand in Frankreich die erste Runde der Vorwahlen der Sozialistischen Partei statt. Knapp 1,5 bis 2 Millionen Menschen beteiligten sich an den parteioffenen Vorwahlen. Dabei setzte sich überraschenderweise ein Vertreter des linken Flügels Benoît Hamon (36%) sowohl gegen den ehemaligen Premierminister Manuel Valls (31%) als auch gegen den deutlich bekannteren Arnaud Montebourg (17%) durch. Daher wird er am nächsten Wochenende gegen Manuel Valls in die Stichwahl gehen, hat jedoch sehr große Chance der Kandidat der Sozialistischen Partei zu werden. Denn Arnaud Montebourg hat schon kurz nach der ersten Runde zur Wahl seines Freundes Benoît Hamon aufgetrufen.

Benoît Hamon war unter Francois Hollande Bildungsminister, wurde nach Kritik am Kurs der sozialistischen Regierung zurückgetreten. Er steht für den linken Flügel der Partei um Christian Paul und war nach seinem Rücktritt in Opposition zur PS-Regierung. Zu seinen Forderungen gehört u.a. ein bedingungsloses Grundeinkommen von 750€, eine hohe Vermögenssteuer sowie Reduktion der 35-Stunden-Woche auf 32 Stunde.

Jedoch scheint es fraglich, ob Hamon bei den Präsidentschaftswahlen überhaupt eine Rolle spielen wird. Derzeit scheint alles auf einen Drei- bzw. Vierkampf hinauszulaufen. Während der Kandidat der Republikaner Fillon in jüngsten Umfragen mit 26% knapp vor Marine Le Pen (24%) führt, hat sich in den letzten Wochen v.a. der ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron (23%) auf dem dritten Platz etabliert und liegt nur noch sehr knapp hinter Francois Fillon. Der Kandidat der Linksfront kommt nicht über seine 15% hinaus. Benoît Hamon werden in Umfragen gerade einmal 5% vorhergesagt.

Dennoch hat dieses Ergebnis eine wichtige Signalwirkung für die Sozialistische Partei und es deutet viel daraufhin, dass dort nun eine Kräfteverschiebung stattfindet. Hamon und Montebourg haben zusammen mehr als 50% der Stimmen bekommen, was doch für beide ein beeindruckendes Ergebnis ist. Die letzten Etappensiege des linken Flügels auf den letzten Parteitagen sprechen ebenfalls dafür. Mehr über die PS und ihren Niedergang habe ich vor kurzem in einem Artikel für die LuXemburg geschrieben.

Bild: Partie Socialiste/ Flickr.com

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Wo ist das Kräfteverhältnis?

Der Artikel erschien am 08. Januar 2014 als Debattenbeitrag im Neuen Deutschland.

Thomas Händel und Frank Puskarev schreiben in ihrem Artikel „Ein sozialistisches Europa?“  vom 26.12.2013 einen kurzen Abriss über die „Europa-Debatte“ in der europäischen Linken. Dabei handeln sie historisch nacheinander verschiedene AkteurInnen dieser Debatte, von Kautsky bis Spirelli , von Habermas bis Huffschmidt ab. Im letzten Abschnitt schlagen die beiden Autoren vor, sich von einer reinen reaktiven Kritik am Krisenmanagement der Europäischen Union zu verabschieden und stattdessen ein „gemeinsames europäisches Alternativprojekt zu formulieren“.

Wie dieses scheinbar „alternative“ Projekt aussehen soll, schieben die beiden Autoren sogleich auch hinter her und skizzieren kurz eine „Konzeption für ein kooperatives, solidarisches Europa“, welche stark an sozialdemokratischen Vorstellungen erinnert. Weder wird die Eigentumsfrage gestellt, noch ist von einer Neugründung Europas die Rede. Vielmehr entpuppt sich dieses, von Händel und Puskarev vorgeschlagene, „Alternativprojekt“, als ein Reformvorschlag für die real existierende Europäische Union, welcher offenbar zur Umsetzung nur noch formuliert werden muss. Dabei übersehen die beiden Autoren nicht nur die jüngsten Diskussionen über ein „Europa von unten“, wie sie derzeit in der europäischen Bewegung gegen die Krisenpolitik der EU geführt werden, sondern auch das reale Kräfteverhältnis in der Europäischen Union. Es reicht daher für die Formulierung eines Alternativprojektes nicht aus, sich ausschließlich auf die Klassiker sozialistischer und sozialdemokratischer Europadiskussion zu beziehen, sondern es benötigt vielmehr eine Analyse der Kräfteverhältnisse auf der europäischen Ebenen und einen Blick auf die Geschichte der Europäischen Union.

Die EU als Elitenprojekt verstehen

Der europäische Integrationsprozess war von Anfang ein Elitenprojekt. Nach dem zweiten Weltkrieg waren es europäische und US-amerikanische Eliten aus dem ökonomischen und politischen Bereich, wie etwa der Politiker Jean Monnet oder das Netzwerk „American Europeanists“ , welche den Integrationsprozess fokussierten und verfolgten.  Mit dem Ende der „Euroskleorose“ (Deppe) und dem Scheitern der keynesianisch-korporatistischen Integrationsweise, Mitte der 1980er Jahre, entwickelte sich die Europäische Gemeinschaft (EG) zu einem wichtigen Stützpunkt europäisierter und transnationalisierter Kapitalfraktionen, was sich in der „wettbewerbsstaatlichen Integrationsweise“ (Ziltener) und der Durchsetzung eines europäischen neoliberalen Hegemonieprojektes äußerte. Netzwerke wie der European Round Tabel of Industrials, der sich aus Repräsentanten der 50 führenden europäischen Industriekonzernen zusammensetzte, waren federführend an den wichtigsten europäischen Projekten, wie etwa dem Binnenmarktprojekt beteiligt. Dies führte dazu, dass europäische und transanationale Institutionen und Organisationen, wie der EuGH, die Europäische Kommission oder europäische Agenturen wie FRONTEX etc. deutlich an Bedeutung gewonnen haben, während gleichzeitig Institutionen wie das Europäische Parlament im Institutionenensemble der EU eine nachgeordnete, marginale Rolle spielen und sich eine wirkliche europäische Zivilgesellschaft im Sinne Gramscis sich nicht herausbilden konnte. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die europäische Ebene aufgrund ihrer Konstruktion eine starke strukturelle Selektivität für europäisierte Kapitalfraktionen aufweist, d.h. Vorschläge dieser Kapitalfraktionen mehr Gehör finden und sich dieser angenommen werden als andere. Gewerkschaften und NGOs können oftmals ihre Interessen nur vermittelt über die nationalen Regierungen in der EU äußern, womit ihnen mit der europäischen Ebene ein wichtiges Kampffeld fehlt.

Kräfteverhältnisse analysieren

Der Vorschlag eines „Alternativprojektes“ von Händel und Puskarev übersieht zudem die Ergebnisse der jüngeren kritischen Europaforschung, wie sie etwa in der Forschungsgruppe Europäische Union in Marburg oder die Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ in Frankfurt zu Tage gefördert wurden. Diese lassen erkennen, dass sich die neoliberale Integrationsweise in der Krise vielmehr verschärft und autoritär zugespitzt hat. Wichtige wirtschaftliche und politische Kompetenzen, welche auf der nationalen Ebene durch demokratisch gewählte Parlamente ausgeübt wurden, sind im Zuge der Krisenpolitik an die europäische Ebene abgegeben worden und werden nun in demokratisch nicht legitimierten Institutionen, wie etwa der Europäischen Kommission verhandelt. Gleichzeitig werden durch die Austeritätspolitik der EU die Gewerkschaften in den Mitgliedsländern geschwächt, die Mindestlöhne gesenkt und die Tarifautonomie geschleift. Der Gewerkschaftsforscher Thorsten Schulten spricht gar von einem „neuen europäischen Interventionismus“ der EU in die nationale Tarifpolitik zur Ungunsten der Lohnabhängigen und Lukas Oberndorfer von der Arbeiterkammer in Wien sieht in der aktuellen Krisenpolitik der EU eine „Radikalisierung des neoliberalen Projekts“  in der die Wettbewerbspolitik autoritär durchgesetzt und institutionell verankert wird.

Interessant ist dabei, dass vor allem jene Volkswirtschaften betroffen sind, in denen das nationale Kräfteverhältnis eine neoliberale Umstrukturierung in dieser Form in Vorkrisenzeiten verhindert hätte. Dadurch werden die Handlungsmöglichkeiten für die Subalternen, ihre Interesse auf der europäischen Ebene zu artikulieren noch weiter eingeschränkt, da die Krisenpolitik der EU auch in die Kräfteverhältnisse in den Mitgliedsstaaten eingreift. Die Krisenbearbeitung durch die europäischen Eliten ist dabei allein auf die Wettbewerbsfähigkeit des europäisierten und transnational orientierten Kapitals ausgerichtet und verfolgt hauptsächlich den Umbau der nationalen Volkswirtschaften zu Exportwirtschaften (vgl. Streeck).

Ein „Alternativprojekt“, was eine Reform der Europäischen Union im sozialdemokratischen Sinne vorschlägt, übersieht genau dieses verfestigte und institutionell auf europäischer Ebene abgesicherte Kräfteverhältnis. Die Institutionen der EU sind vielmehr zu stark vermachtet und die neoliberale Ausrichtung in den europäischen Verträgen (bspw. Lissabon-Vertrag) festgeschrieben, als das eine sozialdemokratische Reform der EU möglich wäre. Ein gegen-hegemoniales Projekt muss vielmehr aus der fragmentierten europäischen Zivilgesellschaft, d.h. aus den verschiedenen Bewegungen und Kämpfen heraus entwickelt werden, welche die beiden Autoren ebenso übersehen.

„Europa von unten“

Es muss den beiden Autoren zugestimmt werden, dass die europäische Linke nicht in einer reaktiven Kritik der europäischen Austeritätspolitik stehen bleiben darf. Das „Staatsprojekt Europa“ (Kannankulam) steht zur Disposition und somit ist der Diskurs über die Zukunft Europas wirkungsmächtig und für die Artikulation von Hegemonieprojekten offener den jemals zuvor. Dieses „gegen-hegemoniale Projekt“ (Gramsci) darf dabei nicht auf eine Reformierbarkeit der real existierenden Europäischen Union hoffen, sondern sollte klar für eine Neugründung Europas von unten forcieren und eine andere europäische Politik der Menschen in den Vordergrund stellen. Die Diskussionen über einen konstituierenden Prozess wie sie derzeit v.a. in Spanien geführt werden, können dafür ein Anfang sein. Dort werden die verschiedenen Forderungen nicht an die staatlichen Institutionen oder an die politischen und ökonomischen Eliten gerichtet, sondern im Gegenteil ein Prozess gestartet, welcher die Schaffung einer „“echten Demokratie“ (Abensour) anstrebt.

Ein gesamteuropäischer Diskurs für ein Europa von unten benötigt jedoch eine gemeinsame Begegnung und eine stärkere Vernetzung von Bewegung, Parteien und Gewerkschaften auf europäischer Ebene. Dabei können die Vernetzungen im Zuge des Blockupy-Protestes sowie die gemeinsamen europäischen Aktionstage, am 01.06.2013 oder auch der gemeinsame südeuropäische Generalstreik im November 2012, als erste Erfolge gewertet werden. Dabei müssen die verschiedenen Bewegungen und Forderungen in Europa gebündelt und europäpisch „gewendet“ werden.

Dafür scheint sich das Aktionsfeld „Wohnraum“ anzubieten. Seit Beginn der europäischen Krise sind die Protestbewegungen für bezahlbaren Wohnraum und gegen Zwangsräumungen in ganz Europa stark gewachsen. Gerade in Spanien stellt die „Plataforma de los Afectadas por la Hipoteca“ einen der Hauptakteure im Kampf gegen die Politik der Troika und der nationalen Regierung dar. Und auch in Deutschland, können die Bewegungen gegen Zwangsräumung, etwa in Berlin oder Hamburg, erste große Mobilisierungserfolge für sich verbuchen. Gleichzeitig ist dieses Thema offensichtlich kein nationales oder regionales Thema, sondern stark mit der europäischen Finanzmarktintegration sowie der aktuellen Krise verbunden. In allen großen Metropolen der EU sehen sich die BewohnerInnen enormen Mieterhöhungen und Zwangsräumungen ausgesetzt, wobei der Klassencharakter dieser strukturellen Aufwertungsprozesse stark und offensichtlich hervortritt. Damit ist der Konflikt um bezahlbaren Wohnraum auch diskursiv und medial vermittel- und mit der europäischen Austeritätspolitik verknüpfbar. Ein erster Schritt wäre dabei eine direkte Bezugnahme auf die Kämpfe in anderen europäischen Mitgliedsstaaten oder ein gemeinsamer europäischer Aktionstag zur Verhinderung von Zwangsräumungen. Langfristig besitzt das Thema das Potenzial als Bezugspunkt für andere Kämpfe, bspw. Reproduktionskämpfe oder Energiekämpfen zu dienen. Auf lange Sicht muss es daher das Ziel sein, einen Prozess zu starten, in der die Neugründung Europas auf der Tagesordnung steht.