
In Europa steigen wieder die Zinsen für Staatsanleihen. Allein heute sprang der Risikoaufschlag für italienische Anleihen um bisher mehr als 10 %. Auch spanische Anleihen stehen zunehmend unter Druck der Finanzmärkte (vgl. FT, 17.03.2020). Dies ist umso problematischer, da diese Länder einen Großteil ihrer Aktivitäten zur Eindämmung des Corona-Virus über die Anleihenmärkte refinanzieren. Mit dem Wachsen der Kreditkosten steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Schuldenkrise.
Die Reaktionen der Finanzmärkte sind Ausdruck davon, dass die Eurokrise von 2009 auch nach ihrer offiziellen Überwindung noch weiter geschwelt hatte. Während die europäischen Eliten die Krise bereits ab 2012 als überwunden bezeichneten, konnten die südeuropäischen Mitgliedsstaaten ihr wirtschaftliches Niveau von vor der Krise bis heute nicht erreichen (vgl. Sablowski/Schneider/Syrovatka 2018). Zwar sanken zwischenzeitlich die Spreads, d.h. die Zinsen für Staatsanleihen im Vergleich zu Deutschland, jedoch zeigte jede Korrektur an den Aktienmärkten, wie prekär diese Ruhe ist.
Die Ursache dafür liegt darin, dass der Kern der Krise nie wirklich angegangen wurde: die fehlerhafte Konstruktion der Eurozone als auch die Re-Regulierung der Finanzmärkte. Insbesondere eine Reform der Eurozone in Richtung einer Risikoteilung und einer stärkeren Konvergenz der Euroländer wurde hauptsächlich von Deutschland und den nordeuropäischen Ländern mit Verweis auf Moral Hazards und die Gefährdung der europäischen Stabilitätskultur vehement abgelehnt (vgl. Schneider/Syrovatka 2019). Zuletzt biss sich Emanuel Macron mit seinen Vorschlägen eines europäischen Finanzministers und einem Eurozonenbudget die Zähne aus. Die in der Krise institutionalisierten austeritätspolitischen Instrumente dagegen ziele durch ihre einseitige Fokussierung auf Haushaltsdefizite auf eine Festschreibung der Stabilitätsunion (vgl. Syrovatka/Schneider 2019). Ebenso werden nur jene Länder mit Handelsbilanzdefiziten bestraft, nicht jedoch Länder wie Deutschland, die hohe Handelsbilanzüberschüsse aufweisen. Wirtschaftliche Ungleichgewichte werden nur dann bearbeitet, wenn sie nicht der deutschen Exportorientierung widersprechen. Dadurch blieben die bestehenden Ungleichgewichte in der Eurozone bestehen. Hinzu kommt ein weiterhin weitestgehend unregulierter Finanzmarkt. Viele Re-Regulierungen wie das Verbot von Swaps wurden wieder rückgängig gemacht. Die Bankenunion ist weiterhin unvollendet, es fehlt an einem europäischen Einlagensicherungssystem ebenso wie an einem Backstop zur Abwicklung von Zombiebanken (vgl. Guntrum 2019).
Die Eurozone ist wahrlich schlecht aufgestellt für eine erneute Eurokrise, die aller Voraussicht durch die weltwirtschaftlich angehäuften Überkapazitäten in der Produktion, dem weltweiten Finanzcrash durch ein Überangebot an Liquidität als auch durch die Unterbrechung von Liefer- und Produktionsketten (vgl. The Economist, 15.02.2020), noch tiefer und härter ausfallen wird als 2008/2009. Hinzu kommt, dass die EZB heute viel weniger Eingriffsmöglichkeiten hat als noch vor zehn Jahren. Als Lender of Last Resort sind ihre wichtigsten Instrumente abgenutzt. Ihr Pulver ist durch eine jahrelange Politik niedriger Zinsen und Anleihenkäufe weitestgehend verschossen. Nicht umsonst reden wir heute bereits über Helikoptergeld und Ähnliches (Handelsblatt, 17.02.2020).
Die Linke in Europa sollte sich daher auf eine tiefe Krise gefasst machen, die die EU vor dem Rand des Zusammenbruchs stellen wird. Es kommen nun jene Zeiten, in der das Neue endlich geboren werden kann. Dafür dürfen wir den “Monstern” (Zizek) nicht die Bühnen überlassen, sondern ein eigenes Projekt für ein solidarisches Europa formulieren. Ich halte dafür Ideen wie den Green New Deal, der breite Bevölkerungsteile einbinden könnte, als ein geeignetes Projekt, die Krise von Links als historische Situation nutzbar zu machen.