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BdWi-Studienheft: Krise der EU

Nach langem Warten ist das Studienheft des BdWi zur Krise der EU endlich erhältlich. Darin finden sich Texte u.a. von Mario Candeias, Volkan Ağar, Nikolai Huke, Peter Wahl, Thomas Sablowski und auch ein Text zu Frankreich von mir.

Auch wenn ich meinen Text schon Ende Dezember abgegeben hatte, erscheint er mir immer noch sehr aktuell. Er behandelt die Hegemoniekrise in Frankreich vor dem Hintergrund der EU-Krise aus einer politökonomischen Perspektive. Das Studienheft kostet 8€ und ihr könnt es hier bestellen: http://www.bdwi.de/show/10076797.html

Hier der Pressetext

Heute hört man auch aus offiziellem Munde, dass sich die Europäische Union 60 Jahre nach ihrer Gründung in einer „existentiellen Krise“ (Jean-Claude Juncker) befinde. Als Beleg wird in der Regel der Brexit oder die Unfähigkeit, solidarische Lösungen in der Flüchtlingspolitik zu entwickeln, angeführt. Doch natürlich liegen die Ursachen tiefer. Gemeinsamer Markt und Euro-Währung haben etwa zu extremen ökonomischen Ungleichgewichten zwischen den Kernländern und den Staaten der südlichen Peripherie geführt. Diesen wurde durch die ihnen diktierte Austeritätspolitik die Verarmung breiter Bevölkerungsteile und eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent aufgezwungen. Kein Wunder, dass die Attraktivität des europäischen Projektes abnimmt. Die meisten dieser Probleme wurzeln darin, dass sich der europäische Vereinigungsprozess zwar äußerlich als ein wertegeleitetes Friedensprojekt verstand, die EU in der Praxis im Grunde aber nie etwas anderes war als ein von einer Brüsseler Technokratie regulierter gemeinsamer Markt. Da Erfolge auf diesem von der ›Wettbewerbsfähigkeit‹ kapitalistischer Staaten bestimmt sind, geraten Löhne, Sozialausgaben oder Steuern als ›Kostenfaktoren‹ in einen Abwärtssog, der durch die Anpassungszwänge in der Währungsunion noch verstärkt wird.

Der Ausweg aus dieser Konstruktion institutionell verankerter neoliberaler Politik ist schwer zu bestimmen und auch innerhalb der gesellschaftlichen und politischen Linken umstritten. Die einen plädieren für einen EU-Austritt oder zumindest für eine Lockerung der Integration. Vor allem der Austritt aus dem Euro oder dessen Ersetzung durch ein System fester, aber politisch anpassbarer Wechselkurse wird als notwendige Bedingung angesehen, um einzelnen Nationalstaaten mehr wirtschaftspolitischen Spielraum zu verschaffen. Andere betonen, dass ein Exit im Sinne einer Renationalisierung für keines der globalen Probleme (Klimawandel, Migration, Terrorismus), mit denen heutige Gesellschaften konfrontiert sind, eine Lösung wäre und rechten, nationalistischen Kräften in die Hände spielen würde. „Mehr Europa, aber anders!“ ist daher eine verbreitete Losung, mit der die Perspektive einer demokratisch-föderalistischen europäischen Sozialunion bzw. einer politischen Union eröffnet werden soll. Hierzu wäre auf alle Fälle eine europaweite Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse erforderlich, um die bisher in der Marktunion untergeordneten Interessen der beherrschten sozialen Gruppen politisch zur Geltung zu bringen.

Der Kampf für die notwendige soziale und demokratische Neugründung Europas kann nur auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene der jeweiligen Einzelstaaten beginnen. Aber er muss von vornherein auf die grenzüberschreitende Kooperation sozialer Initiativen, Bewegungen und Gewerkschaften ausgerichtet sein. Dieser Weg ist schwierig und umstritten. Daher bemühen wir uns in diesem Studienheft, eine breite Palette dieser Diskussionen und Positionen abzubilden.

Inhalt

  • Thomas Sablowski: Die Widersprüche der europäischen Integration

Wege aus der Krise? Kontroversen

  • Mario Candeias: Perspektivwechsel
  • Klaus Busch: Wege aus derKrise
  • Hansjörg Herr: Krise und Reformoptionen der Europäischen Währungsunion
  • Peter Wahl: Ein Dritter Weg für die EU
  • Elisabeth Klatzer / Christa Schlager: Die Krisenpolitik der EU aus feministischer Sicht

Länder und Regionen – Perspektiven

  • Trevor Evans: Großbritannien wählt den Austritt aus der EU
  • Nikolai Huke: Kollektiv organisiert gegen die alltägliche Krise
  • Dorothee Bohle: Osteuropa nach der Krise
  • Felix Syrovatka: „La Crise“
  • Jannis Kompsopoulos: Die Auswirkungen der Troika-Programme

Politische Akteure

  • Andreas Keller: Kooperation oder Wettbewerb?
  • Lea Meister: Zwischen Arbeitsmarkt und gesellschaftlichem Engagement
  • Maren Kirchhoff: Vor und nach dem Willkommen
  • Maria Kader: Geldpolitik und Bankenrettung vertiefen die Krise

Außenpolitik – Grenzregime – Militarisierung

  • Regina Schleicher: Externalisierung, Hotspots, McKinsey
  • Volkan Agar / Ilker Ataç: Autoritäre Konsolidierung in der Türkei
  • Tobias Pflüger / Jürgen Wagner: Eine neue Stufe der Militarisierung der EU
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Presseschau: WOZ über den Aufstieg der Rechten in Frankreich

Die linke Schweizer Wochenzeitung WOZ hat am 13.04.2017 einen Artikel zur Repräsentationskrise in Frankreich veröffentlicht. Darin schreibt Daniel Hackbarth über den Zusammenhang zwischen dem Misstrauen in ein korruptes politisches Systems und dem Aufstieg des Front National. Dabei werde übrigens auch ich zitiert.

„[…] Denn tatsächlich war in den vergangenen Jahrzehnten eine immer weiter gehende Annäherung der beiden grossen Parteien zu beobachten. «Egal wer an der Macht war – der PS oder die Konservativen –, wir hatten es letztlich mit einer ähnlichen Politik zu tun», sagt der deutsche Politikwissenschaftler Felix Syrovatka, der an der Universität Tübingen unter anderem zur Entwicklung in Frankreich forscht. So haben beide grossen Parteien eine Politik der wirtschaftlichen Deregulierung betrieben. Dadurch wurden zum einen die Unterschiede zwischen den politischen Lagern verwässert, zum anderen gingen die besagten Deregulierungen vor allem zulasten der ärmeren Bevölkerung, was wiederum grosse Sozialproteste provozierte. Dennoch wurde 2010 eine umstrittene Rentenreform und 2016 eine nicht minder polarisierende Reform des Arbeitsrechts durchgesetzt – das eine Mal unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy, das andere Mal unter dem Sozialisten François Hollande. «Seit der Finanzkrise 2007 agiert die Politik zunehmend autoritär», sagt Syrovatka.

Zudem kommt das politische Führungspersonal in Frankreich tatsächlich fast ausschliesslich aus der heutigen Elite: Wer es in dem Land politisch zu etwas bringen will, muss in aller Regel eine der Grandes Écoles besuchen. Dass viele PolitikerInnen dadurch einen ähnlichen Lebenslauf aufweisen, provoziert Argwohn, zumal nur vier Prozent der Studierenden an Institutionen wie der École nationale d’administration in Strassburg aus den «classes populaires» stammen, wie Syrovatka betont. Die Wut auf «die Eliten» oder «das Establishment», das Gefühl, längst nicht mehr wirklich repräsentiert zu werden, ist folglich nicht nur Ergebnis der Hetze von PopulistInnen, sondern hat eine reale Basis. […]“

Der Artikel von Daniel Hackbarth kann auf der Webseite der WOZ kostenfrei abgerufen werden.