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Die Proteste gegen Polizeigewalt weiten sich aus

Auch zwei Wochen nach dem brutalen Polizeiübergriff auf den PoC Theó halten die Proteste gegen Polizeigewalt in Frankreich an. Fast jeden Tag gibt es Demonstrationen und das nicht mehr nur in den Banlieues, sondern auch im Stadtzentrum. Letztes Wochenende gingen mehr als 5000 Menschen landesweit gegen die Übergriffe der Polizei auf die Straße.

Heute nun wurden mehr als 16 Gymnasien von SchülerInnen besetzt. Verschiedene SchülerInnengewerkschaften und antifaschistische Gruppen hatte zu einer Blockade aufgerufen und mobilisierten auf den Place de la Nation. Zufahrten der Schulen wurden mit Mülltonnen und anderem Gerät blockiert. Schwerpunkt des Schulblockaden waren die Banlieues Saint-Denis und Bobigny, wo sich der Polizeiübergriff ereignet hatte.

In den Banlieues von Paris aber auch in anderen französischen Großstädten kommt es immer wieder zu schweren Übergriffen von Seiten der Polizei. Die Vergewaltigung und Misshandlungen von Theó durch eine Gruppe von drei Polizisten ist nur ein neuer Höhepunkt einer ganzen Reihe von Polizeigewalt in den letzten Jahren. Schon 2005 kam es nach dem Mord an zwei Jugendlichen zu massiven Unruhen in den Pariser Vorstädten.

Die französische Polizei ist noch stärker als in Deutschland, von einem rechten Korpsgeist geprägt, der durch einen institutionell verankerten Rassismus im französischen Staat noch verstärkt wird. Zudem ist die französische Polizei stark durch rechte Kräfte beeinflusst. In einer Umfrage gaben mehr als die Hälfte der Polizisten an, die Front National zu wählen (https://bitly.com/).  In den 1980er Jahren versuchten verschiedene rechtsradikale Gruppen im Umfeld der Front National (wie etwa die PNFE) die Polizei zu unterwandern und waren teilweise auch erfolgreich. Noch heute bestehen einige Polizeigewerkschaften, wie etwa die FPIP, welche eng mit der Front National verbunden zugleich aber auch einen starken Einfluss auf Polizei und Politik haben. Dadurch kommt es auch selten zu Verurteilungen nach Übergriffen, da sich die Polizisten selbst ein Alibi geben oder die Gewerkschaften mutmaßliche Zeugen „organisieren“.

Der Fall Theó war daher nur der Ausgangspunkt von Demonstrationen, die sich in v.a. gegen eine rassistische Polizeiwillkür und die von ihr ausgehende Gewalt richtet.  Sie richtet sich gegen den Unsicherheitsfaktor für Leib und Leben in den Banlieues.

Photo: Chloé Marriault/Twitter.com

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Frankreich geht der Sprit aus

Die derzeitigen Proteste gegen die Arbeitsrechtsreform der sozialdemokratischen Regierung in Frankreich erinnern an das Jahr 2010. Damals hatten mehrere hunderttausend Menschen beinah täglich gegen die Rentenreform des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy demonstriert. Auch damals wurden Öl-Raffinerien blockiert, um die Regierung zum Einlenken zu bewegen. 2010 jedoch scheiterten die Blockaden der Raffinerien nach mehr als zwei Wochen aufgrund des unsolidarischen Verhalten der sozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT, dem Druck der Raffineriebetreiber und des massiven medialen und gesellschaftlichen Drucks. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen, denn wieder sind in Frankreich Öl-Raffinerien blockiert. 

Derzeit ist der Zugang zu sechs von acht Raffinerien versperrt. Die Ölproduktion musste nach Angaben des CGT landesweit um 90% gedrosselt werden. Einige Tankstellen wurde bereits geschlossen und auch die Industrieproduktion zurückgefahren. Die Regierung reagierte bereits einer Räumung der Blockade in Fos-sur-Mer, jedoch führte dies nur dazu, dass drei weiteren Raffinerien von Arbeitern blockiert wurden. Viele Gewerkschaftsmitglieder begrüßen die Streiks und sind über ihre unterschiedlichen Gewerkschaftsmitgliedschaften hinaus mit den Blockaden solidarisch. So haben sich seit heute, neben den LKW-Fahrern und den Beschäftigten der Staatsbahn SNCF auch die Hafenarbeiter dem Streik angeschlossen. Morgen soll der Streik auf die Arbeiter in den Kernkraftwerken ausgeweitet werden. Damit könnte neben der Benzinversorgung auch mittelfristig die Stromversorgung gefährdet sein.

Die linken Gewerkschaften um den CGT, welche v.a. in den (ehemaligen) Staatsbetrieben gut verankert sind, zielen strategisch auf eine Lahmlegung der kompletten französischen Infrastruktur. In der Vergangenheit konnten die linken Gewerkschaften hier ihre größten Mobilisierungserfolge feiern und mit Streiks in diesen Bereiche auch vergangene Reformprojekte verhindern. Sollte der CGT, wie angekündigt, seinen Streik beim SNCF und im Pariser Nahverkehr RATP ab Juni weiter ausweiten können (bisher sind nur rund 10% der Belegschaft im Ausstand), dann droht Frankreich landesweit der Stillstand.

Wie sehr der Streik die Regierung jetzt schon unter Druck setzt, zeigt nicht nur die massive Repression gegen Protestierende und Streikende. Vielmehr ist es der nun aufziehende Gegenwind von Unternehmens- und Kapitalverbänden, welche den Druck auf die Regierung erhöht haben. In einer gemeinsamen Pressemitteilung haben sich alle großen Unternehmensverbände an die Regierung gewandt und eine gewaltsame Beendigung der Streiks gefordert. Ähnlich wie auch schon 2010 argumentieren sie, dass der Streik nicht nur negative Auswirkungen auf die Betriebe, sondern auch auf die Angestellten haben wird. Die Blockade der Raffinerien und die landesweiten Streiks seien ein Unrecht und ein schwerer Schlag für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Daher müsste der Staat endlich für Ordnung sorgen und die Streiks beenden. Ebenso reagierte der Öl-Konzerns Total auf die Blockade seiner Raffinerien und drohte, wie auch schon 2010, mit einer Schließung von Raffinerien und dem Abbau von Arbeitsplätzen in Frankreich. Damals konnte durch ähnliche Drohungen einzelne Blockaden beendet werden.

Die sozialdemokratische Regierung entgegnete den Blockaden und Streiks mit Drohungen und Gewalt. Der französische Präsident, Francois Hollande bezeichnete die Blockaden der linken Gewerkschaften als einen undemokratischen Erpressungsversuch einer kleinen Minderheit, welche Frankreich in Geiselhaft nehmen würde. Premierminister Manuel Valls kündigte an die Blockaden und Streiks mit aller Macht von den Sicherheitskräften räumen zu lassen und im Zweifel ein landesweites Demonstrationsverbot zu verhängen. Im Interview mit Europe1 drohte er dem CGT-Chef sogar persönlich: »Der CGT wird eine entschiedene Antwort der Regierung zu spüren bekommen!«. Nicolas Sarkozy hatte 2010 alle blockierten Raffinerien mithilfe von Sondereinheiten der Polizei räumen sowie die Raffinerie Grandpuits in der Nähe von Paris sogar beschlagnahmen lassen und alle ArbeiterInnen zur Arbeit zwangsverpflichtet (Syrovatka 2016: 136).

Anders jedoch als damals sind der CGT und die anderen linken Gewerkschaften entschlossen die Kraftprobe mit der Regierung auszustehen und einen einen landesweiten Ausstand zu provozieren. Als Antwort auf die Drohungen von Emanuel Valls hat der Generalsekretär des CGT, Philippe Martinez dazu aufgerufen den Streik »in alle Sektoren der französischen Wirtschaft, hinein in jedes Unternehmen« auszuweiten. Viele Ausstände sollen Anfang Juni beginnen und die Blockaden und Streiks unterstützen. Die Regierung soll dadurch zu Aufgabe ihrer Reformpläne gezwungen werden.

Ob dies aber wirklich möglich ist, lässt sich derzeit nur schwer voraussagen. Zwar ist die Ablehnung der Arbeitsrechtsreformen in der Bevölkerung weiterhin hoch ebenso wie die Bereitschaft in den Ausstand zu treten. Jedoch galt in Frankreich bisher die Faustregel, dass ohne die zweite große Gewerkschaft CFDT ein landesweiter und sektorenübergreifender Ausstand nicht möglich ist. Die sozialdemokratische CFDT hat sich jedoch anders als 2010 erst gar nicht dem Streik angeschlossen und sich vom Vorgehen der linken Gewerkschaften bereits distanziert. Von dieser Seite ist also kaum mit Unterstützung zu rechnen. Zudem bröckelt mit der Zunahme der Gewalt bei den Protesten der gesellschaftliche Rückhalt und die mediale Toleranz. Während vor einer Woche noch 75% der Bevölkerung die Proteste gegen das Loi Travail begrüßten, forderten nun bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts BVA rund 60% die Beendigung der Proteste und Streiks.

Im Jahr 2010 stellte die Blockade der Raffinerien den letzten Akt der Proteste gegen die Rentenreform dar. Das Unbehagen und die hohe Ablehnung neoliberaler Politik in der Bevölkerung sind jedoch bis heute geblieben.

Felix Syrovatka ist Politikwissenschaftler und forscht zur europäischen Arbeitsmarktpolitik. Sein Buch zur französischen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik seit der Krise erscheint im Juni.

Der Artikel erschien am 25.05.2016 in der Onlineausgabe des Neuen Deutschlands und kann dort abgerufen werden.

Bildquelle: charlier.valentin/Flickr.com

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Kein Comeback in Sicht: Eine Antwort auf Hans-Jürgen Urbans Thesen zur Rolle der deutschen Gewerkschaften in der Krise

Artikel von von Nikolai Huke und Felix Syrovatka*,erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 03-04/2014

Glaubt man ihrer Selbstdarstellung, feiern die deutschen Gewerkschaften in den vergangenen Jahren ein relativ erfolgreiches Comeback. Exemplarisch dafür steht Hans-Jürgen Urbans (IG Metall) Feststellung, die Gewerkschaften hätten sich als Krisenmanager bewährt und signifikante Beiträge zur Sicherung von Branchen und Beschäftigung geleistet, keineswegs selbstverständliche Defensiverfolge erzielt und Fortschritte bei der eigenen Revitalisierung und Erneuerung gemacht (vgl. Urban 2013). Urbans These vom Comeback der deutschen Gewerkschaften wurde seither in einer Reihe von Beiträgen aufgegriffen (vgl. Schmalz/Dörre 2013). Im Folgenden wird in vier Thesen argumentiert, dass sich die Gewerkschaften entgegen dieser Sichtweise nach wie vor strategisch wie organisationspolitisch in der Defensive befinden.