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Partei der Bewegung

„Marseille ist die französischste Stadt unserer Republik“! Mit diesem Satz begann der französische Präsidentschaftskandidat der Front de gauche, Jean-Luc Mélenchon, seine Rede vor mehr als 120 000 AnhängernInnen am Strand von Marseille. Marseille, das ist in der öffentlichen Diskussion in Frankreich eher die Stadt, die mit einer hohen MigrantInnenanteil, Kriminalität und Armut in Verbindung gebracht wird und für die politische Rechte das Musterbeispiel einer „verfehlte Integrationspolitik“ ist. Dem Selbstbild Frankreichs entspricht Marseille nicht und dennoch sagt dieser Satz sehr viel über Frankreich und den Präsidentschaftskandidaten des linken Wählerbündnises Front de gauche aus. Denn während die französische Öffentlichkeit über die französische Identität sowie über Halalfleisch debattiert und der französische Präsident Nicolas Sarkozy erklärt, dass es „zu viele Ausländer in unserem Land“ gibt, nimmt Jean-Luc Mélenchon, der selbst in Marokko geboren ist, seinen Auftritt in Marseilles zum Anlass, um daran zu erinnern, das Einwanderung eine Chance und keine Bedrohung für Frankreich darstellt. Frankreich gehöre allen, die in diesem Land leben und dies schon seit 2600 Jahren betonte der Kandidat der Front de gauche, mit Blick auf den Gründungsmythos der Stadt Marseille.

Die Front de gauche im französischen Präsidentschaftswahlkampf

„Marseille ist die französischste Stadt unserer Republik“! Mit diesem Satz begann der französische Präsidentschaftskandidat der Front de gauche, Jean-Luc Mélenchon, seine Rede vor mehr als 120 000 AnhängernInnen am Strand von Marseille. Marseille, das ist in der öffentlichen Diskussion in Frankreich eher die Stadt, die mit einer hohen MigrantInnenanteil, Kriminalität und Armut in Verbindung gebracht wird und für die politische Rechte das Musterbeispiel einer „verfehlte Integrationspolitik“ ist. Dem Selbstbild Frankreichs entspricht Marseille nicht und dennoch sagt dieser Satz sehr viel über Frankreich und den Präsidentschaftskandidaten des linken Wählerbündnises Front de gauche aus. Denn während die französische Öffentlichkeit über die französische Identität sowie über Halalfleisch debattiert und der französische Präsident Nicolas Sarkozy erklärt, dass es „zu viele Ausländer in unserem Land“ gibt, nimmt Jean-Luc Mélenchon, der selbst in Marokko geboren ist, seinen Auftritt in Marseilles zum Anlass, um daran zu erinnern, das Einwanderung eine Chance und keine Bedrohung für Frankreich darstellt. Frankreich gehöre allen, die in diesem Land leben und dies schon seit 2600 Jahren betonte der Kandidat der Front de gauche, mit Blick auf den Gründungsmythos der Stadt Marseille.

Der Auftritt Mélenchons in Marseille war der zweite dieser Art. Schon am 18. März 2012, dem Tag der Pariser Kommune, sprach er auf dem Place de la Bastille, wo ihm mehr als 100.000 Menschen zuhörten. Dieser Tag markierte für ihn in den Umfragen den Durchbruch und katapultierte ihn mit 15% auf den dritten Platz in den Wahlumfragen. In aktuellen Umfragen meinen mehr als 33% der Befragten, dass er den besten Wahlkampf führe, womit Mélenchon weit vor seinen Konkurrenten Sarkozy, Le Pen, Hollande und Bayrou liegt.

Nach dem Vorbild der deutschen LINKEN

Die Wurzeln der Front de gauche liegen in der Bewegung gegen den europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005.  Damals hatte es eine gemeinsame linke Mobilisierung gegeben, an der sich neben linksradikalen Parteien und Gruppen, auch der linke Flügel der sozialistischen Partei (PS) sowie Gewerkschaften, Mitglieder sozialer Bewegungen (ATTAC etc.) und BürgerInnen, die bisher nicht politisch aktiv waren, beteiligten. Dieses heterogene Bündnis hatte es geschafft, in die öffentliche Debatte hineinzuwirken und eine Dynamik gegen den Verfassungsvertrag auszulösen, die letztendlich zu einem NEIN im Referendum führte. Nach der katastrophalen Wahlniederlage in der Präsidentschaftswahl 2007, in der die französische Linke als gespaltene Formation mit drei verschiedenen Kandidaten antrat und gleichzeitig die PS dem Lissaboner Vertrag zustimmte sowie durch die Wahl Ségolène Royal zur Präsidentschaftskandidatin weiter nach rechts rutschte, spaltete sich der linke Flügel von der PS ab und gründete, nach dem Vorbild der deutschen LINKEN, die Parti de Gauche (PG). Diese sollte nach den Vorstellungen der Parteigründer, Jean-Luc Mélenchon und Marc Dolez, als linke Bewegungspartei dienen und die zersplitterte französische Linke nach dem Vorbild der Kampagne gegen den europäischen Verfassungsvertrag zusammenführen. Diese gramscianische Strategie, die nach der Wahlniederlage von 2007 auch von der PCF verfolgt wurde, führte zur Gründung des Wählerbündnisses Front de gauche, das sich nicht als Koalition von Parteien, sondern vielmehr als eine Partnerschaft zwischen linken Parteien und gesellschaftlichen Bewegungen versteht.[1] Somit wurde ein gemeinsamer politischer Raum geschaffen, indem neben den „millitants“ (Mitgliedern) der Parteien und Bewegungen auch unorganisierte BürgerInnen in unterschiedlichen politischen Ebenen mitarbeiten und sich einbringen können, ohne zwingend Mitglied einer der drei Parteien zu sein[2]. So unterscheiden sich die Mitglieder des Bündnisses in ihrer politischen Herkunft und ihrer politischen Kultur sehr stark. Es reicht von der Sozialdemokratie bis hin in linksradikale Bewegungen und stellt in seiner Gesamtheit ein heterogenes Bild dar. Dennoch schaffte die Front de gauche es, in den ersten drei Wahlen (Europa-. Regional-, und Kantonwahlen) ermutigende Ergebnisse[3] einzufahren, auch wenn diese nicht den hochgesteckten Erwartungen entsprachen. ,

Mit Jean-Luc Mélenchon wurde nun ein Kandidat aufgestellt, der die Front de gauche ganz bedeutend mitgeprägt hat. Er begann seine politische Laufbahn nach dem Generalstreik 1968 in der trotzkistischen „Organisation Communist International“ (OCI), die er auch von 1972 bis 1975 leitete. 1976 trat er der PS unter Francais Mitterand bei, gründete dort den linken Parteiflügel mit und war von 2000 bis 2002, Bildungsminister unter Lionel Jospin. Insgesamt war er, bis zur Abspaltung des linken Parteiflügels im Jahr 2008, knapp 32 Jahre Mitglied der sozialistischen Partei. Doch auch schon vor seinem Austritt galt Jean-Luc Mélenchon als Querulant innerhalb der PS. Er stellte sich 1991 offen gegen die Kriegspolitik von  Francois Mitterand im zweiten Golfkrieg und war 2005 einer der wichtigsten Figuren in der Kampagne gegen den europäischen Verfassungsvertrag, obwohl diesem die PS zugestimmt hatte. Nach seinem Austritt aus der PS und der Gründung der PG, wird Mélenchon im Mai 2009 ins Europäische Parlament gewählt und im Juli 2011 zum Präsidentschaftskandidaten der Front Gauche.

«Je suis gramscien!»

In diesem Wahlkampf geht es der Front de gauche nicht unbedingt darum, ein gutes Wahlergebnis zu erreichen, sondern hauptsächlich darum, kulturelle Hegemonie herzustellen, d.h. öffentliche Räume zu erkämpfen, um die eigene Deutungshoheit zu erhöhen und Voraussetzung für die Formierung eines Blocks antikapitalistischer und sozialer Kräfte sowie damit verbundener gemeinsamer politischer Aktionen zu schaffen. So sind die zentralen Wahlkampfslogans „place au people“ (Platz für das Volk) und „prenez le pouvoir“ (Nehmt die Macht) Ausdruck dieser Strategie, die der Theorie des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci zugrunde liegt. Während die Strategie des „place au people“ die Aneignung öffentlicher Plätze durch die Menschen und der damit einhergehenden symbolischen Wirkung vorsieht, soll der Slogan „prenez le pouvoir“, die Menschen selbst in die Wahlkampagne einbinden und einen demokratischen Aufstand darstellen, d.h. der Personalisierung des französischen Wahlkampfs entgegenwirken, die Wahlen als Ausdruck einer demokratischen Willensbildung aufwerten und für einen wirklichen Bruch mit der herrschenden bürgerlich-kapitalistischen Ordnung mobilisieren. Es ist interessant zu beobachten, dass dabei immer wieder auf die Französische Revolution von 1789 rekurriert wird. So wurde die erste Großveranstaltung am 18.März auf dem Place de la Bastille, unter dem Motto „marche pour la VIe République“ (Marschieren für die 6. Republik) veranstaltet. Damit wurde neben der Symbolik eines Neuanfangs, auch die Verknüpfung der in der französischen Linken stark verankerten Idee einer sozialen Republik  mit der Notwendigkeit eines fundamentalen Bruchs sowie einem progressiven, demokratisch-egalitären Gesellschaftsentwurf geschaffen. Diese Verknüpfung des „place au people“ mit einem Klassestandpunkt hat es geschafft, Deutungshoheiten über bestimmte und wichtige Diskurse in diesem Präsidentschaftswahlkampf zu bekommen und so den Kandidaten der PS, Francois Hollande zu zwingen, bei bestimmten Themen auf die Position der FG einzugehen, was für ihn wiederum eine zukünftige Allianz mit dem rechten Francois Bayrou nahezu unmöglich macht. Es sind vor allem die Diskurse über den Mindestlohn und einer Besteuerung von hohen Jahreseinkommen, aber auch die über eine Neuverhandlung der europäischen Verträge, in die Mélenchon mit Erfolg intervenieren konnte. Während Hollande und die PS im Wahlkampf eine „politique de rigueur“ (Sparpolitik) zu propagieren versuchen, die einer „linken“ Austeritätspolitik gleichkommt, zeigt die Kampagne der FG auf, dass es auf alle Fragen nur dann eine linke Antwort möglich ist, wenn ein Bruch mit der herrschenden bürgerlich-kapitalistischen Logik herbeigeführt und diese gegen eine alternative Logik ersetzt wird.

„L’humain d’abord“

In dem Programm der FG, mit dem Namen „L’humain d’abord“ (Die Menschen zuerst), wird nichts Geringeres als die Eigentumsfrage gestellt und „Gerechtigkeit durch Umverteilung“ formuliert.  Die Vorschläge nach einer Erhöhung des Mindestlohnes auf 1700€, die Einführung einer Lohnobergrenze in Höhe des Zwanzigfachen des Mindestlohnes (knapp 340.000€), sowie die Rente mit 60 Jahren, ein Recht auf niedrige Mieten, Einführung einer Gemeinschaftsschule und die Wiedereinführung der 35 Stunden Woche, stoßen auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Gleichzeitig sieht das Programm der FG eine Abgabe für Finanzeinkommen der Betriebe vor sowie die Einführung einer gerechten Steuerreform. Mélenchon will das Parlament stärken und ein Ende der fünfjährigen „Präsidialmonarchie“ der fünften Republik. Ihr folgen soll eine 6. Republik die keinen Präsidenten mehr kennt. So hat Mélenchon schon angekündigt, den Schlüssel des Elysee Palastes, im Falle eines Wahlsieges, in die Seine zu werfen.

Eine zentrale Rolle im Programm der FG nimmt der Punkt der „planification ecologique“ (ökologische Planung) ein, der den Zusammenhang zwischen der sozialen, ökonomischen und ökologischen Krise sichtbar macht und eine Gegenstrategie formuliert. Neben einem Ausstieg aus der Kohlekraft, soll es auch ein Referendum über die Kernenergie gebe. Gleichzeitig sieht das Programm einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, eine ökologische und soziale Wohnungspolitik sowie eine Enteignung der Energiebetriebe und eine gleichzeitige Regionalisierung der Energieversorgung vor. Neben der staatlichen Förderung von erneuerbaren Energien, soll eine neue Verkehrspolitik zu einer radikalen Reduzierung des CO2 Ausstoßes führen.

Mit Blick auf die Krise der Europäischen Union, versucht die FG eine radikale Alternative zu formulieren, indem sie den Lissaboner Vertrag neu verhandeln, die Unabhängigkeit der EZB beenden und den freien Waren- und Kapitalverkehr in Europa einschränken will. Mélenchon forderte im Wahlkampf statt einer Schuldenbremse, eine Klausel gegen Rückschritte in sozialen und ökologischen Bereichen festzuschreiben. Die Strategie in der Europapolitik setzt auf Brüche mit der herrschenden Ordnung, ohne das Land in die Isolation zu führen. Es ist eine progressive Strategie, die in Zusammenarbeit mit anderen progressiven Bewegungen auf eine Transformation zu einem friedlichen, ökologischen, solidarischen und demokratischen Europa für alle abzielt. So steht auch in dem Programm der FG: „Letztlich ist unser Ziel, den liberalen Block innerhalb der EU brechen und einen neuen Vertrag zu verhandeln. Raus aus dem Pessimismus und der Unterwerfung unter Technokratie der Europäischen Union. Frankreich, als Gründungsmitglied hat die Fähigkeit, die Europäischen Union  zu transformieren, wenn es neben der staatliche Politik auch eine zivilgesellschaftlichen Bewegungen in Europa gibt.“

„Seid der Krater der Revolution, der ganz Europa ansteckt“

Jean-Luc Mélenchon und die FG haben es in diesem Präsidentschaftswahlkampf geschafft, in die öffentlichen Diskurse zu intervenieren und noch viel mehr, eigene Diskurse zu etablieren. Sie haben es geschafft, den Druck von links auf Francois Hollande soweit zu erhöhen, dass dieser sich zum Handeln gezwungen sah und Anpassungen seines Wahlprogrammes vornahm. Und auch ihrem Ziel, die französische Linke zu einen, sind sie ein Stück näher gekommen. So sind viele Mitglieder der NPA ins Lager von Mélenchon gewechselt und kürzlich haben drei führende Funktionäre der Partei, offiziell ihre Unterstützung für die Front de gauche erklärt. Es wird daher interessant werden, was nach der Präsidentschaftswahl passieren wird. Jean-Luc Mélenchon hat es selbst schon zu seinen Zuhörern in Besancon gesagt: „La Gauche est retour!“ (Die Linke ist zurück!)

im: Debattenheft der Sozialistischen Linken


[1] Teil der Front Gauche ist neben den beiden Gründungsparteien PG und PCF, die Gauche Unitaire, eine Abspaltung der trotzkistischen Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA). Die NPA hat sich klar gegen eine Mitarbeit im Front de gauche entschieden.

[2] Damit ist die Parti de Gauche zwar nach dem Vorbild der Partei DIE LINKE gegründet worden, doch spielen sich deren politische Aktivitäten hauptsächlich im Front de gauche ab, das einen offenen Raum zur Mitarbeit darstellt und einen viel intensiveren Kontakt mit den gesellschaftlichen und sozialen Bewegungen ermöglicht, als es die Partei DIE LINKE mit ihren geschlossenen und starren Parteistrukturen schaffen könnte.

[3] So erreichte die Front de gauche bei den Europawahlen 6,3%, bei den Regionalwahlen 6,95% und bei den Kantonwahlen 10,38%.

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