Der Artikel wurde in gekürzter Form zuerst in der analyse und kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 598, 44. Jhg., S.9, 2014 abgedruckt
Bis zuletzt ging der Wahl Jean-Claude Junckers am 15. Juli 2014 eine ziemliche Geschacher der Staats- und Regierungschefs der EU voraus. Denn anders als im Europawahlkampf suggeriert wurde, gibt es keinen Automatismus in der EU, welcher den Spitzenkandidaten der stärksten Fraktion im Europaparlament zum Kommissionspräsidenten macht. Vielmehr wird dieser vom Europäischen Rat vorgeschlagen, während die gewählten Parlamentarier nur darüber abstimmen können. Und so war es dann auch keine ausgemachte Sache, dass der ehemalige luxemburgische Ministerpräsident den Posten des Kommissionspräsidenten erhalten sollte, zumal immer wieder offen zu Tage trat, dass u.a. Angela Merkel und der britische Premiere David Cameron weder Juncker noch seinen sozialdemokratischen Gegenkandidaten Martin Schulz nominieren wollten. Während Merkel nach der Wahl jedoch einen Umschwung vollzog und Juncker zu ihrem Kandidaten erklärte, sträubte sich Cameron bis zuletzt, wurde jedoch im Europäischen Rat überstimmt. Mit der Nominierung Jean-Claude Junckers verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs sogleich auch eine neue strategische Agenda für die nächsten fünf Jahre, in der deutlich formuliert ist, dass diese von der neuen Kommission eine Fortführung der Austeritäts- und Sparpolitik erwarten.
Die Fortsetzung der Austeritätspolitik
Der frisch gewählte Kommissionspräsident kündigte sogleich eine grundlegende Strukturreform der europäischen Exekutive an, welche ihm deutlich mehr Macht zukommen lässt, den Spielraum der anderen Kommissare jedoch relativ stark einschränkt. Während die Kommissionsvizepräsidenten früher faktisch bedeutungslos waren und nicht viel zu sagen hatten, sollen sie jetzt ein bestimmtes ressortübergreifendes Themenfeld besetzen und die Arbeit der anderen Fachkommissare steuern und überwachen. Sie besitzen nun sogar ein Vetorecht, da sie jeder Initiative ihrer Kommissare ihres „Projektteams“ zustimmen müssen. So soll zum einen verhindert werden, dass die Beamten aus den Generaldirektionen den Kurs ihres Kommissars bestimmen und zum anderen soll die Kommission damit stärker der Linie Junckers folgen und verhindert werden, dass die einzelnen Kommissare eigene Projekte entwickeln. Die Linie folgt vor allem einer Fortsetzung der europäischen Spar- und Reformpolitik. Zwar kündigte Juncker in seinem Arbeitspapier „Ein Neustart für Europa“ ein „ambitioniertes Beschäftigungs-, Wachstums- und Investitionspaket“ in den ersten drei Monaten seines Mandates sowie eine Überführung der Troika aus IWF, Kommission und EZB in „eine Struktur mit stärkerer demokratischer Legitimation und Rechenschaftspflicht“ an. Gleichzeitig bleiben diese Vorschläge jedoch im Geiste einer neoliberalen Wettbewerbspolitik, welche zum Ziel hat, die EU zu einem der wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsräume der Welt zu machen. Dies zeigt nicht zuletzt das Bekenntnis zum Freihandel, zur Einhaltung der Stabilitätskriterien und die Forderung nach mehr Konvergenz in der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik.
Das Juncker dem Wunsch der Staats- und Regierungschefs nach einer Weiterführung der Austeritätspolitik entsprechen möchte, zeigt nicht zuletzt auch ein Blick auf das Personaltableau für die neue Kommission. Insgesamt versammelt sie vier ehemalige Ministerpräsidenten, die in ihren Ländern, im Zuge der Wirtschaftskrise, eine harte Austeritäts- und Privatisierungspolitik durchsetzten. Andrus Ansip etwa, ehemaliger Ministerpräsident Estlands und nun designierter Kommissionsvizepräsident, führte in seinem Land nicht nur den Euro ein, sondern zerstörte dort ebenfalls das öffentliche Gesundheits- und Rentensystem, erhöhte die Mehrwertsteuer und senkte gleichzeitig die Steuern für Unternehmen. Oder der Finne Jyrki Katainen, ebenfalls einer der sieben designierten Kommissionsvizepräsidenten, welcher sich in Europa durch seine Einschnitte in Renten- und Sozialsystemen einen Namen gemacht hat. Zu dieser Runde gesellt sich auch der ehemalige Ministerpräsident von Lettland, Valdis Dombrovskis, dessen Sparprogramm aufgrund der harten Kürzungen in den Medien nur als „Schocktherapie“ bezeichnet wird. Dombrowskis setzte auf Geheiß des Internationalen Währungsfonds sowie der Europäischen Kommission massiver Einsparungen im Staatshaushalt, Kürzungen der Gehälter im öffentlichen Dienst um mehr als 25% und Streichungen in der Rente um bis zu 70% durch. Diese sogenannte „lettische Lösung“ kann rückblickend als das Vorbild für die Ausgestaltung der Austeritätspolitik in Griechenland angesehen werden. Dombrovskis soll dazu ebenfalls in einem dubiosen Bankendeal um die 2008 notverstaatlichte Parex-Bank verwickelt sein, welche für 92 Millionen Euro an eine US-Finanzholding verkauft wurde. Der Verkauf der Bank war in Lettland vor allem deshalb stark umstritten, weil es deutlich höhere Gebote von anderen Interessenten gegeben hatte.
Böcke zu Gärtnern?
Viel Kritik gab es jedoch für andere Kandidatennominierungen. Vor allem die Nominierung des Spaniers Miguel Arias Canete für den Posten des Kommissar für Energie und Klimaschutz sorgte europaweit für Aufregung. So sprach die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms nach seiner Nominierung von einer „Schwächung der europäischen Klimapolitik“ und die Deutsche Umweltstiftung nannte Canete einen „Lobbyist der Erdölindustrie“. Grund für die Empörung ist, dass Canete eng mit zwei Ölfirmen, Petrolifera Ducor und Petrologis, verbunden ist, wo er sowohl als Teilhaber wie auch Vorstandsmitglied agiert. Er kündigte zwar an, sich von den beiden großen Aktienpaketen noch vor seinem Amtsantritt als Kommissar zu trennen, jedoch scheinen Zweifel an seiner Eignung damit nicht ausgeräumt. In seiner Zeit als früherer Landwirtschafts- und Umweltminister der konservativen Regierung von José María Aznar war Canete in einige Skandale verwickelt und stand dort der europäischen Energiewende und erneuerbaren Energien eher distanziert gegenüber. So machte er hauptsächlich mit ökologisch zweifelhaften Vorschlägen, wie die Einführung von Einmal-Olivenöl-Kännchen in Restaurants oder sexistischen Sprüchen auf sich aufmerksam. So sagte Canete gegenüber dem spanischen Fernsehen, dass er seine sozialistische Rivalin im Wahlkampf geschont hätte, weil sie „eine Frau“ und er ihr „als Mann geistig überlegen“ sei.
Ein anderer designierter Kommissar der starke Verbindungen in die Wirtschaft hat ist Jonathan Hill, welcher in der EU-Kommission das Ressort für Finanzen verantworten soll. Hill ist Gründer der Lobbyfirma Quiller und hält Anteile an der Agentur Multi Huntsworth, welche u.a. die britische Großbank HSBC oder die Londoner Börse im Kampf gegen strengere EU-Finanzmarktregulierungen unterstützte. Als ehemaliger Finanzmarktlobbyist und Mitarbeiter von Magret Thatcher hat Hill somit gute Kontakte zur Londoner City und zur europäischen Finanzmarktlobby. Als Finanzmarktkommissar würde er am Schalthebel für zentrale Themen wie der Finanzmarkregulierung oder der Bankenabwicklung sitzen. Interessanter Weise ist Hill der einzige designierte Kommissar aus der konservativen ECR-Fraktion, an der auch die „Alternative für Deutschland“ (AfD) beteiligt ist. Somit wäre die AfD, bei seiner Wahl, mit ihrer Fraktion, über Jonathan Hill, direkt an der neuen Kommission beteiligt und würde wohl nicht umhin kommen, diese durch ihre Stimmen im Europäischen Parlament zu unterstützen.
Eine ähnliche Fehlbesetzung ist der Ungar Tibor Navracsics von der Fidez, welcher das Ressort für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgerschaft übernehmen soll. Navracsics war bisher unter Victor Orban Außen- und Justizminister und hat die stark kritisierte Reform des ungarischen Rechtssystems zu verantworten, mit welcher die Kompetenzen der ungarischen Justiz stark beschnitten wurden. Dass nun gerade ein loyaler Orban-Getreuer den Posten des Kulturkommissars besetzen soll, ist vielen vor dem Hintergrund der radikalen Kahlschlagpolitik im Kultur- und Medienbereich in Ungarn unverständlich. Die derzeitige ungarische Regierung hatte sich in den letzten Jahren vor allem durch die Aufnahme faschistischer Dichter in Schullehrpläne oder durch Kürzungen regierungskritischer Kultur- und Medienprojekte einen Namen gemacht und weniger durch die Förderung interkultureller und toleranzfördernder Projekte. Als letztes in der Runde soll Alenka Bratusek noch genannt sein. Die scheidende Ministerpräsidentin verlor krachend die letzte Parlamentswahl, nutze aber die Übergangszeit, um sich selbst für den slowenischen Posten in der EU-Kommission vorzuschlagen. Das Juncker sie dann auch wirklich nominierte hatte viele Beobachter überrascht, fehlt Bratusek doch jegliche Unterstützung der großen slowenischen Parteien.
Kontinuität in der Austeritätspolitik
Am 22. Oktober wird das Europäische Parlament über die Kommission en bloc abstimmen und es gilt als unwahrscheinlich, dass die Parlamentarier den Personalvorschlag Junckers durchfallen lassen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die seit dieser Legislatur neuentstandene engere Zusammenarbeit der größten Fraktionen EVP (Christdemokraten) und S&D (Sozialdemokraten) auch bei der Wahl der Kommission Bestand haben wird. Denn bei aller Kritik am Personaltableau, welche auch von den Parlamentariern der neuen „GroKo“ im Europaparlament geübt wurde, stamm en doch die meisten (22 von 28) nominierten Kommissare aus den Parteifamilien von EVP und S&D. Es wäre somit eine Überraschung, wenn es zu einer Wiederholung von 2004 kommen würde, wo Rocco Buttiglione als designierter Innen- und Justizkommissar vom Parlament abgelehnt wurde. Als sicher gilt jedoch heute schon, dass die neue Kommission den eingeschlagenen Weg der neoliberalen Austeritäts- und Wettbewerbspolitik weiterführen wird. Zwar scheint es als nicht ausgeschlossen, dass die Troika über kurz oder lang stärker in europäisches Recht überführt werden und es kleinere Korrekturen am einseitigen Krisenmanagement der EU geben wird. Einen Kurswechsel, oder gar einen Neustart der EU, wie ihn Juncker in seinem Arbeitspapier vollmundig angekündigt hat, wird aber von dieser Kommission nicht ausgehen.