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Frankreich: Eine Politik gegen die Mehrheit

Der Artikel erschien am 21.Mai auf dem „OXI-Blog – Wirtschaft für Gesellschaft“ und kann dort ebenfalls abgerufen werden

Es ist eine wirtschaftspolitische Wende, wie sie wohl nur von einem sozialdemokratischen Staatschef vollzogen werden kann. Angetreten als Alternative zur neoliberalen Kürzungspolitik in Europa und als Gegengewicht zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel, ist der französische Präsident Francois Hollande nun auf dem Weg, mit seinem sozialdemokratischen Parteigenossen Gerhard Schröder in Sachen Arbeitsmarktreformen gleichzuziehen. In einem Interview mit dem Radiosender Europe1 erklärte er letztens, dass er lieber als Präsident im Gedächtnis der Menschen bleiben würde, »der auch unpopuläre Reformen durchgesetzt hat, als ein Präsident, der nichts unternommen hat.«

Dass er in seiner Amtszeit nichts unternommen hätte, kann man Hollande wirklich nicht vorwerfen. Schon vor seiner Neujahrsansprache 2014, in der er offiziell eine angebotspolitische Wende in der Wirtschaftspolitik ankündigte, hatte seine Regierung einen sogenannten »Wettbewerbspakt« verabschiedetet, der Steuern- und Abgabenerleichterungen in Höhe von 20 Milliarden Euro vorsah. Auf Grundlage eines Berichts des ehemaligen EADS-Vorsitzenden Louis Gallois, hatte sich die sozialistische Regierung noch im Dezember 2012 entschlossen, durch massive Unternehmensentlastungen und einer Flexibilisierung von Arbeitszeit- und Gehaltsregelungen, die Lohnnebenkosten drastisch zu reduzieren und damit die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft zu stärken.

Die neoliberale Wende von Francois Hollande vollzog sich dann mit der Durchsetzung des sogenannten Verantwortungspaktes und der mehrmaligen Umbildung der Regierung. Mit der Berufung von Manuel Valls zum Premierminister und Emanuel Macron zum Wirtschaftsminister wurde der wirtschaftsliberale Flügel in der sozialistischen Regierung gestärkt, während gleichzeitig mit dem Rücktritt von Arnaud Montebourg und Christiane Taubira der linke Flügel vollständig aus der Regierungspolitik verdrängt wurde. Zugleich wurde mit dem Verantwortungspakt, welcher weitere Steuer- und Abgabenentlastungen für Unternehmen von mehr als 30 Milliarden Euro jährlich vorsah, der Startschuss für eine ganze Batterie neoliberaler Reformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gegeben. So folgte noch Ende 2015 das sogenannte Loi Macron, welches mithilfe der Notverordnung 49-3 gegen den Widerstand der Gewerkschaften und des linken Flügels der Regierungspartei beschlossen wurde. Das Reformpaket des neuen Wirtschaftsministers Macron hatte die Abschaffung der Zugangsbeschränkung für bestimmte Berufe (Notare, Taxifahrer etc.), die Ausweitung der Nacht- und Sonntagsarbeit sowie eine umfassende Lockerung des Kündigungsschutzes zur Folge.

An diese angebotspolitische Reformpolitik schließen nun auch die vorgeschlagenen Arbeitsrechtsreformen der Arbeitsministerin Myriam El Khomri an. Auch wenn der Gesetzesentwurf in Folge verschiedener Konsultationsrunde mit den Unternehmensverbänden und den reformorientierten Gewerkschaften abgeschwächt wurde, sieht er immer noch einen radikalen Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und eine Erhöhung der Arbeitszeiten vor. So soll die Überstundenregelung – welche seit der Einführung der 35-Stunden-Woche ein Instrument für ihre Aushöhlung ist – weiter gelockert werden. Zudem sieht der Gesetzesentwurf vor, dass die Wochenarbeitszeit für den Zeitraum von 16 Wochen auf 48 Stunden (in Ausnahmefällen sogar auf 60 Stunden) erhöht werden kann. Ebenfalls soll der Kündigungsschutz gelockert und die Definition von »betriebsbedingten Kündigungen« stark erweitert werden. Vereinbarungen auf der betrieblichen Ebene, auf der die französischen Gewerkschaften bisher kaum verankert sind, sollen gestärkt und die Einführung betriebsinterner Referenden bindend werden. Hierdurch können in Zukunft Blockaden einzelner Gewerkschaften bei Betriebsentscheidungen umgangen werden.

Nach massiven Demonstration von Gewerkschaften und Studierenden, nach den nun seit mehr als einem Monat anhaltenden Platzbesetzungen überall in Frankreich sowie starker Kritik aus der eigenen sozialdemokratischen Partei und Fraktion hat der französische Premierminister Valls nun angekündigt das Gesetz auch gegen den Willen des Parlaments, mithilfe des Notparagraphens 49-3 durchzusetzen. Dieser Paragraph sieht vor, dass ein Gesetz dann als angenommen gilt, wenn die Regierung ein darauffolgendes, mit dem Paragraphen verknüpftes Misstrauensvotum erfolgreich übersteht. Eine Abstimmung und eine wirkliche parlamentarische Debatte über das Gesetz werden so unterbunden. Der Notparagraph ist daher sehr umstritten, wurde jedoch in der Vergangenheit schon mehr als 80-mal, von hauptsächlich konservativen Regierungen eingesetzt. Zuletzt bediente sich jedoch die heutige Regierung Valls bei der Abstimmung über das Loi Macron dem Notparagraphen, um die KritikerInnen in der eigenen Fraktion zu disziplinieren. Die autoritäre Durchsetzung des Loi Macron war damals vor allem dem Druck aus Brüssel und Berlin geschuldet, die aufgrund des anhaltenden Haushaltsdefizits die Umsetzung weitreichender Strukturreformen forderten. Emanuel Macron sagte damals, dass das Reformpaket in erster Linie ein »Reformsignal an die europäischen Partner und vor allem Deutschland« zu verstehen sei.

Sehr ähnlich scheint es nun auch beim Loi El Khmori gelagert zu sein. So hatten die europäischen Institutionen in ihren länderspezifischen Empfehlungen seit langem eine Lockerung des Kündigungsschutzes ebenso gefordert, wie eine Flexibilisierung der Arbeitszeit- und Gehaltsregelungen. Nach den Terroranschlägen von Paris und den damit verbundenen erhöhten Sicherheitsausgaben, hatte die französische Regierung angekündigt, die Maastrichtkriterien zu verletzen, gleichzeitig aber auch der Umsetzung geforderter Strukturreformen höchste Priorität einzuräumen. Hinzu kommt ein hoher interner Druck von den Arbeitgeberverbänden MEDEF und afep, welche sich seit Jahren für eine Reform des Arbeitsrechts sowie eine Aushöhlung der 35-Stunden-Woche stark machen.

Es wird interessant zu beobachten, wie sich die Situation in Frankreich in den nächsten Wochen entwickeln wird. Der Druck von der Straße, die Arbeitsrechtsreform zu verhindern, ist in den letzten Tagen noch einmal gestiegen. Die Bewegung, welche sind anfangs hauptsächlich auf die Hauptstadt Paris konzentrierte und von einem vor allem studentischen Milieu getragen wurde, erfasst mittlerweile das ganze Land. Mehr als 75 Prozent der Bevölkerung lehnen die Arbeitsrechtsreformen ab und halten sie für ungerecht. An den letzten Aktionstagen beteiligten sich hunderttausende Menschen landesweit. Blockaden der LKW-Fahrer und Streiks bei der Staatsbahn SNCF legten mehrere wichtige Verkehrsachsen lahm. Frankreich ist wieder einmal in Bewegung, doch scheint es fraglich, ob die Arbeitsrechtsreform noch gestoppt werden kann. Francois Hollande hat nun angekündigt mit aller Härte gegen die Streikenden und Protestierenden vorzugehen, denn die Arbeitsrechtsreformen seien »gut für Frankreich.« Er wird in Erinnerung bleiben und zwar als Präsident neoliberaler und autoritärer Reformpolitik.

Felix Syrovatkas Buch zur französischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erscheint im Juni.

Photo: Alter1fo /Flickr.com