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PROKLA 180: Die Strategie der Front National im Europawahlkampf 2014

Die neue Ausgabe der PROKLA ist erschienen und beschäftigt sich mit dem Thema der politischen Krise und die Reorganisation der bürgerlichen Kräfte. NeProkla 180ben sehr interessanten Artikeln von AutorInnen aus dem AkG-Umfeld findet sich in dem Heft auch ein Artikel von mir. Ich witme mich in dem Artikel dem Aufstieg der Front National und ihrer neuen Strategie, welche ich am Beispiel des Europawahlkampfes 2014 darstelle. Zur Seite der Prokla kommt ihr hier.

Abstract

Felix Syrovatka: „The Rise of Madame Le Pen. „The Strategy of the Front National during the EU election battle in 2014. After the latest european election, the Front National (National Front) is now the strongest party in France. With the aid of the hegemony theory, this article analyzes the contextual conditions for the rise of the Front National and the political strategy in the european elections campain. The aim of this article is to answer the question how the party managed to resolve the poor results of the presidential elections 2007 and gain such high approval rates in the latest elections.

Inhaltsverzeichnis der PROKLA 180.

Außerhalb des Schwerpunkts

  • Thomas Goes: Linkspopulismus und Prekarisierung
  • Christian Lotz: An der Oberfläche der Tauschgesellschaft Kritik der Kritischen Theorie
  • Alex Demirović: „Anders denken, anders sprechen“. Ein Besprechungsessay zu „Das Kapital lesen“

Einspruch

  • Michael Heinrich: Gute deutsche Politik
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Lobby ist ihr Hobby. Neoliberale Austeritäts- und Wettbewerbspolitik bleibt das Programm der EU-Kommission.

Der Artikel wurde in gekürzter Form zuerst in der analyse und kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 598, 44. Jhg., S.9, 2014 abgedruckt

Bis zuletzt ging der Wahl Jean-Claude Junckers am 15. Juli 2014 eine ziemliche Geschacher der Staats- und Regierungschefs der EU voraus. Denn anders als im Europawahlkampf suggeriert wurde, gibt es keinen Automatismus in der EU, welcher den Spitzenkandidaten der stärksten Fraktion im Europaparlament zum Kommissionspräsidenten macht. Vielmehr wird dieser  vom Europäischen Rat vorgeschlagen, während die gewählten Parlamentarier nur darüber abstimmen können. Und so war es dann auch keine ausgemachte Sache, dass der ehemalige luxemburgische Ministerpräsident den Posten des Kommissionspräsidenten erhalten sollte, zumal immer wieder offen zu Tage trat, dass u.a. Angela Merkel und der britische Premiere David Cameron weder Juncker noch seinen sozialdemokratischen Gegenkandidaten Martin Schulz nominieren wollten. Während Merkel nach der Wahl jedoch einen Umschwung vollzog und Juncker zu ihrem Kandidaten erklärte, sträubte sich Cameron bis zuletzt, wurde jedoch im Europäischen Rat überstimmt. Mit der Nominierung Jean-Claude Junckers verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs sogleich auch eine neue strategische Agenda für die nächsten fünf Jahre, in der deutlich formuliert ist, dass diese von der neuen Kommission eine Fortführung der Austeritäts- und Sparpolitik erwarten.

Die Fortsetzung der Austeritätspolitik

Der frisch gewählte Kommissionspräsident kündigte sogleich eine grundlegende Strukturreform der europäischen Exekutive an, welche ihm deutlich mehr Macht zukommen lässt, den Spielraum der anderen Kommissare jedoch relativ stark einschränkt. Während die Kommissionsvizepräsidenten früher faktisch bedeutungslos waren und nicht viel zu sagen hatten, sollen sie jetzt ein bestimmtes ressortübergreifendes Themenfeld besetzen und die Arbeit der anderen Fachkommissare steuern und überwachen. Sie besitzen nun sogar ein Vetorecht, da sie jeder Initiative ihrer Kommissare ihres „Projektteams“ zustimmen müssen. So soll zum einen verhindert werden, dass die Beamten aus den Generaldirektionen den Kurs ihres Kommissars bestimmen und zum anderen soll die Kommission damit stärker der Linie Junckers folgen und verhindert werden, dass die einzelnen Kommissare eigene Projekte entwickeln. Die Linie folgt vor allem einer Fortsetzung der europäischen Spar- und Reformpolitik. Zwar kündigte Juncker in seinem Arbeitspapier „Ein Neustart für Europa“ ein „ambitioniertes Beschäftigungs-, Wachstums- und Investitionspaket“ in den ersten drei Monaten seines Mandates sowie eine Überführung der Troika aus IWF, Kommission und EZB in „eine Struktur mit stärkerer demokratischer Legitimation und Rechenschaftspflicht“ an. Gleichzeitig bleiben diese Vorschläge jedoch im Geiste einer neoliberalen Wettbewerbspolitik, welche zum Ziel hat, die EU zu einem der wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsräume der Welt zu machen. Dies zeigt nicht zuletzt das Bekenntnis zum Freihandel, zur Einhaltung der Stabilitätskriterien und die Forderung nach mehr Konvergenz in der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik.

Das Juncker dem Wunsch der Staats- und Regierungschefs nach einer Weiterführung der Austeritätspolitik entsprechen möchte, zeigt nicht zuletzt auch ein Blick auf das Personaltableau für die neue Kommission. Insgesamt versammelt sie vier ehemalige Ministerpräsidenten, die in ihren Ländern, im Zuge der Wirtschaftskrise, eine harte Austeritäts- und Privatisierungspolitik durchsetzten. Andrus Ansip etwa, ehemaliger Ministerpräsident Estlands und nun designierter Kommissionsvizepräsident, führte in seinem Land nicht nur den Euro ein, sondern zerstörte dort ebenfalls das öffentliche Gesundheits- und Rentensystem, erhöhte die Mehrwertsteuer und senkte gleichzeitig die Steuern für Unternehmen. Oder der Finne Jyrki Katainen, ebenfalls einer der sieben designierten Kommissionsvizepräsidenten, welcher sich in Europa durch seine Einschnitte in Renten- und Sozialsystemen einen Namen gemacht hat. Zu dieser Runde gesellt sich auch der ehemalige Ministerpräsident von Lettland, Valdis Dombrovskis, dessen Sparprogramm aufgrund der harten Kürzungen in den Medien nur als „Schocktherapie“ bezeichnet wird. Dombrowskis setzte auf Geheiß des Internationalen Währungsfonds sowie der Europäischen Kommission massiver Einsparungen im Staatshaushalt, Kürzungen der Gehälter im öffentlichen Dienst um mehr als 25% und Streichungen in der Rente um bis zu 70% durch. Diese sogenannte „lettische Lösung“ kann rückblickend als das Vorbild für die Ausgestaltung der Austeritätspolitik in Griechenland angesehen werden. Dombrovskis soll dazu ebenfalls in einem dubiosen Bankendeal um die 2008 notverstaatlichte Parex-Bank verwickelt sein, welche für 92 Millionen Euro an eine US-Finanzholding verkauft wurde. Der Verkauf der Bank war in Lettland vor allem deshalb stark umstritten, weil es deutlich höhere Gebote von anderen Interessenten gegeben hatte.

Böcke zu Gärtnern?

Viel Kritik gab es jedoch für andere Kandidatennominierungen. Vor allem die Nominierung des Spaniers Miguel Arias Canete für den Posten des Kommissar für Energie und Klimaschutz sorgte europaweit für Aufregung. So sprach die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms nach seiner Nominierung von einer „Schwächung der europäischen Klimapolitik“ und die Deutsche Umweltstiftung nannte Canete einen „Lobbyist der Erdölindustrie“. Grund für die Empörung ist, dass Canete eng mit zwei Ölfirmen, Petrolifera Ducor und Petrologis, verbunden ist, wo er sowohl als Teilhaber wie auch Vorstandsmitglied agiert. Er kündigte zwar an, sich von den beiden großen Aktienpaketen noch vor seinem Amtsantritt als Kommissar zu trennen, jedoch scheinen Zweifel an seiner Eignung damit nicht ausgeräumt. In seiner Zeit als früherer Landwirtschafts- und Umweltminister der konservativen Regierung von José María Aznar war Canete in einige Skandale verwickelt und stand dort der europäischen Energiewende und erneuerbaren Energien eher distanziert gegenüber. So machte er hauptsächlich mit ökologisch zweifelhaften Vorschlägen, wie die Einführung von Einmal-Olivenöl-Kännchen in Restaurants oder sexistischen Sprüchen auf sich aufmerksam. So sagte Canete gegenüber dem spanischen Fernsehen, dass er seine sozialistische Rivalin im Wahlkampf geschont hätte, weil sie „eine Frau“ und er ihr „als Mann geistig überlegen“ sei.

Ein anderer designierter Kommissar der starke Verbindungen in die Wirtschaft hat ist Jonathan Hill, welcher in der EU-Kommission das Ressort für Finanzen verantworten soll. Hill ist Gründer der Lobbyfirma Quiller und hält Anteile an der Agentur Multi Huntsworth, welche u.a. die britische Großbank HSBC oder die Londoner Börse im Kampf gegen strengere EU-Finanzmarktregulierungen unterstützte. Als ehemaliger Finanzmarktlobbyist und Mitarbeiter von Magret Thatcher hat Hill somit gute Kontakte zur Londoner City und zur europäischen Finanzmarktlobby. Als Finanzmarktkommissar würde er am Schalthebel für zentrale Themen wie der Finanzmarkregulierung oder der Bankenabwicklung sitzen. Interessanter Weise ist Hill der einzige designierte Kommissar aus der konservativen ECR-Fraktion, an der auch die „Alternative für Deutschland“ (AfD) beteiligt ist. Somit wäre die AfD, bei seiner Wahl, mit ihrer Fraktion, über Jonathan Hill, direkt an der neuen Kommission beteiligt und würde wohl nicht umhin kommen, diese durch ihre Stimmen im Europäischen Parlament zu unterstützen.

Eine ähnliche Fehlbesetzung ist der Ungar Tibor Navracsics von der Fidez, welcher das Ressort für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgerschaft übernehmen soll. Navracsics war bisher unter Victor Orban Außen- und Justizminister und hat die stark kritisierte Reform des ungarischen Rechtssystems zu verantworten, mit welcher die Kompetenzen der ungarischen Justiz stark beschnitten wurden. Dass nun gerade ein loyaler Orban-Getreuer den Posten des Kulturkommissars besetzen soll, ist vielen vor dem Hintergrund der radikalen Kahlschlagpolitik im Kultur- und Medienbereich in Ungarn unverständlich. Die derzeitige ungarische Regierung hatte sich in den letzten Jahren vor allem durch die Aufnahme faschistischer Dichter in Schullehrpläne oder durch Kürzungen regierungskritischer Kultur- und Medienprojekte einen Namen gemacht und weniger durch die Förderung interkultureller und toleranzfördernder Projekte. Als letztes in der Runde soll Alenka Bratusek noch genannt sein. Die scheidende Ministerpräsidentin verlor krachend die letzte Parlamentswahl, nutze aber die Übergangszeit, um sich selbst für den slowenischen Posten in der EU-Kommission vorzuschlagen. Das Juncker sie dann auch wirklich nominierte hatte viele Beobachter überrascht, fehlt Bratusek doch jegliche Unterstützung der großen slowenischen Parteien.

Kontinuität in der Austeritätspolitik

Am 22. Oktober wird das Europäische Parlament über die Kommission en bloc abstimmen und es gilt als unwahrscheinlich, dass die Parlamentarier den Personalvorschlag Junckers durchfallen lassen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die seit dieser Legislatur neuentstandene engere Zusammenarbeit der größten Fraktionen EVP (Christdemokraten) und S&D (Sozialdemokraten) auch bei der Wahl der Kommission Bestand haben wird. Denn bei aller Kritik am Personaltableau, welche auch von den Parlamentariern der neuen „GroKo“ im Europaparlament geübt wurde, stamm en doch die meisten (22 von 28) nominierten Kommissare aus den Parteifamilien von EVP und S&D. Es wäre somit eine Überraschung, wenn es zu einer Wiederholung von 2004 kommen würde, wo Rocco Buttiglione als designierter Innen- und Justizkommissar vom Parlament abgelehnt wurde. Als sicher gilt jedoch heute schon, dass die neue Kommission den eingeschlagenen Weg der neoliberalen Austeritäts- und Wettbewerbspolitik weiterführen wird. Zwar scheint es als nicht ausgeschlossen, dass die Troika über kurz oder lang stärker in europäisches Recht überführt werden und es kleinere Korrekturen am einseitigen Krisenmanagement der EU geben wird. Einen Kurswechsel, oder gar einen Neustart der EU, wie ihn Juncker in seinem Arbeitspapier vollmundig angekündigt hat, wird aber von dieser Kommission nicht ausgehen.

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Workshop: Autoritärer Wettbewerbsetatismus? Zur Aktualität der Theorien von Nicos Poulantzas für eine Analyse der Eurokrise

Europäischer Krisenetatismus?

Wann? Freitag, 24.Oktober 2014

Zur Anmeldung und Fragen:  poulantzas@akg-online.org

Eine Veranstaltung der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung

Eine Reihe von kritischen polit-ökonomischen Texten greift derzeit zur Analyse autoritärer Entwicklungen in der Eurokrise auf Theorien des marxistischen Staatstheoretikers Nicos Poulantzas zurück. Insbesondere dem Konzept des autoritären Etatismus, mit dem Poulantzas die politischen Veränderungen in Krisenzeiten zu fassen versucht, kommt dabei eine zentrale Funktion zu. Mit dem Konzept beschreibt Poulantzas eine Verselbstständigung der Exekutive und eine Stärkung bürokratischer Verfahren auf Kosten demokratischer Entscheidungsmöglichkeiten, durch die die „Berücksichtigung bestimmter Forderungen des Volkes in der Ausarbeitung staatlicher Politik […] immer zweifelhafter“ wird und in der „die rechtlich-politische Ideologie des Allgemeinwohls einer technokratischen Ideologie der Effizienz“ weicht. In der Folge lässt sich „überall das Entstehen von Kämpfen feststellen, die auf die Ausübung einer direkten Basisdemokratie zielen. Diese Kämpfe sind durch einen charakteristischen Anti-Etatismus gekennzeichnet, und manifestieren sich in der Ausbreitung von Selbstverwaltungszentren und Netzen der direkten Intervention der Massen in sie betreffende Entscheidungen: von Bürgerkomitees bis zu den Stadtteilkomitees und den verschiedenen Dispositiven der Selbstverteidigung und der Kontrolle durch das Volk“. Dem autoritären Etatismus misslingt, so Poulantzas weiter, damit „nicht nur die Erfassung der Massen in seinen disziplinarischen Ketten, d.h. die effektive ‚Integration‘ dieser Massen in seine autoritären Kreisläufe. Er provoziert vielmehr eine generelle Forderung nach direkter Basisdemokratie, d.h. eine wahrhaftige Explosion demokratischer Ansprüche“.

Im Rahmen des Workshops sollen Möglichkeiten und Grenzen einer Kritik des europäischen Krisenmanagements unter Rückgriff auf Poulantzas ebenso diskutiert werden wie strategische Konsequenzen aus einer solchen Kritik. Der Workshop ist dazu in drei Phasen unterteilt: In der ersten Phase findet eine vertiefte Einführung in die Theorien von Nicos Poulantzas statt, die zweite Phase ist der Lektüre des Originaltexts des autoritären Etatismus gewidmet und in der dritten Phase die Anwendung des Konzepts auf die Analyse der Eurokrise diskutiert. In den theoretischen Debatten sollen Fragen linker Strategien und politischer Konsequenzen aus der Analyse stets mitreflektiert werden. Zur Vorbereitung auf den Workshop wird allen Teilnehmer_innen ein Reader mit drei einführenden Texten, dem Kapitel zu autoritären Etatismus von Poulantzas sowie Texten von Ian Bruff, Lukas Oberndorfer sowie Sune Sandbeck und Etienne Schneider zur Anwendung der Theorien auf die Eurokrise zur Verfügung gestellt.
Zur besseren Planbarkeit und um den Reader zur Vorbereitung zur Verfügung stellen zu können, bitten wir um eine formlose Anmeldung per Mail mit dem Betreff „Anmeldung“ an poulantzas@akg-online.org. Auf Anfrage bemühen wir uns, eine Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen.

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Austeritätspolitik ohne Legitimität.

Der Troika-Bericht des Europäischen Parlaments stellt die Krisenpolitik nicht in Frage

Der Artikel erschien in gekürzter Fassung in analyse & kritik, Nr. 594, S.8, 2014. Der ungekürzte Artikel ist hier zu finden.

Die Abgeordneten hätten die „Notbremse gegen den Mangel an Transparenz und Rechenschaftspflicht der Troika“ gezogen, kommentierte der Grünenabgeordnete Sven Giegold die Abstimmung des Troika-Berichtes im Europäischen Parlament. Im März haben die Abgeordneten mit viel Medienöffentlichkeit ihr Unbehagen über die sogenannte „Rettungspolitik“ der Troika ausgedrückt und mit großer Mehrheit einem Untersuchungsbericht über die Rolle und Tätigkeit des austeritärem Dreiergespanns zugestimmt. Die Troika ist im Jahr 2010 im Zuge der drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands von den Mitgliedstaaten der Eurozone gegründet worden und besteht aus dem Internationalen Weltwährungsfond (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, die Bedingungen für die Kreditvergabe – ein sogenanntes Memorandum of Understandig (MoU) – mit den betroffenen Ländern auszuhandeln und zu überprüfen, ob diese eingehalten werden.

Und wahrlich ist der Untersuchungsbericht des Europäischen Parlaments auf den ersten Blick ungewöhnlich kritisch. Das Mandat der Troika sei „unklar, intransparent und einer demokratischen Kontrolle entbehrend“. Außerdem konstatiert das Parlament in seinem Bericht, dass „im Primärrecht der Union keine passende Rechtsgrundlage für die Einsetzung der Troika gefunden wurde“, womit es feststellt, dass sich die Troika bis zur Verabschiedung der TwoPack Regelungen[1] außerhalb des europäischen Rechts befand. Gleichzeitig beklagt das Parlament, dass die Wachstumsprognosen der Troika „allzu optimistisch“ gewesen und die negativen Wirkungen der Kürzungspolitik auf das Wachstum nicht berücksichtigt wurden seien, ebenso wie die „Abmilderung der negativen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen“ in den Krisenländern selbst. Am Schluss des Berichts fordert das Parlament die schrittweise Abschaffung der Troika, die Integration der MoU in das Gemeinschaftsrecht und die Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsfonds (EWF). Der EWF soll die finanziellen Ressourcen des ESM mit den Sachkenntnissen der EU-Kommission kombinieren und auf Grundlage des Gemeinschaftsrechts agieren.

Auf den zweiten Blick jedoch entpuppt sich der Bericht als ein zahnloser Papiertiger. Zum einen liegt das an der begrenzten Untersuchung des Europäischen Parlaments selbst. So konzentriert sich der Bericht nur auf die Länder Griechenland, Portugal, Zypern und Irland, womit vollkommen übersehen wird, dass auch die spanische Regierung ein MoU der Troika unterzeichnet hat. Gleichzeitig stellt der Bericht die Politik der Troika und ihr Vorgehen in der Krise nicht per se in Frage. Vielmehr betont der Bericht an mehreren Stellen, dass die Einsetzung der Troika und die Ausrichtung ihrer Politik unter den gegebenen wirtschaftlichen Umständen, in der „die Gefahr einer Auflösung des Euroraums deutlich spürbar war“, eine richtige Entscheidung darstellte, zu der es in dieser Zeit keine anderen Alternativen gegeben hätte. Der Fokus des Berichts liegt damit auch nicht auf einer generellen Kritik an der Troika, sondern vielmehr auf den fehlenden Mitsprachekompetenzen des Europäischen Parlaments bei der Troikapolitik. So verliert sich der Bericht oftmals in allgemeinen Aussagen und Mahnungen. So kritisiert die Gruppe TroikaWatch, dass der Bericht eine konkrete Nennung „wer wann wie welche Gesetzte verletzt hat und welche personellen und institutionellen Konsequenzen daraus zu ziehen“ vermissen lässt.

Zum anderen ist der Bericht für die Arbeit der Troika auch recht belanglos, da das Europäische Parlament keine Mitbestimmungsrechte in der Frage über die Ausrichtung und Kompetenzen der Troika hat. Da die Troika von den Mitgliedsländern der Eurogruppe eingesetzt wurde, welche wiederum selbst keine offizielle EU-Institution darstellt, werden die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in allen Fragen, welche die Troika betreffen, außen vor gelassen. Die Entscheidungsbefugnisse liegen allein bei den drei Institutionen der Troika sowie den Mitgliedsländern der Eurogruppe. Das Europäische parlament hat in Fragen der Troika weder Mitentscheidungs- noch Anhörungsrecht. Der Untersuchungsbericht des Parlaments ist damit nicht mehr als eine Stellungnahme. Die „Notbremse“, welche die Abgeordneten des Parlaments nach Meinung von Sven Giegold gezogenen haben wollen ist daher also recht unwirksam und hauptsächlich symbolischer Natur.

Austeritätspolitik ohne parlamentarische Legitimität

Diese Praxis der Ausklammerung des Parlaments bei der gleichzeitigen Stärkung der Exekutiven findet sich auch bei den anderen austeritätspolitischen Maßnahmen der Europäischen Union. So etwa beim Fiskalpakt. Dort kann das Europäische Parlament von den Mitgliedern des „Euro-Gipfels“ eingeladen werden, hat jedoch nur ein Anhörungsrecht[2]. Ähnlich gering sind auch die Kompetenzen in der sogenannten Economic Governance (SixPack/ TwoPack). Die Kommission wird darin zwar angehalten, bei verschiedenen Instrumente zur haushaltspolitischen Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der europäischen Mitgliedsländer (bspw. dem Scoreboard) mit dem Europäischen Parlament zusammen zu arbeiten. Rechtlich verpflichtet ist sie dazu jedoch ebenso wenig, wie Stellungnahmen und Empfehlungen des Parlamentes zu folgen.

Insgesamt wurde mit den austeritätspolitischen Maßnahmen der EU die Kompetenzen der Europäische Kommission und des Europäischen Rates stark ausgebaut, während auf eine gleichzeitige Einbeziehung des Europäisches Parlaments verzichtet wurde. Daher muss auch der Troika-Bericht vor dem Hintergrund des Kräfteverhältnisses zwischen der Kommission und dem Parlament betrachtet werden. So reagierte die Europäische Kommission auf die Verabschiedung des Troika-Berichtes auch relativ eindeutig: Die Einsetzung der Troika war alterativlos und ihre Arbeit in den betroffenen Mitgliedsstaaten erfolgreich. Die Troika haben in den sogenannten Krisenländern „unter den gegebenen, schwierigen Umständen recht gut funktioniert“ meinte etwa Olli Rehn, der Kommissar für Wirtschaft und Währung.

Ebenfalls muss der Bericht als Versuch des Parlaments gewertet werden, die eignen Kompetenzen im Bereich der Austeritätspolitik auszubauen. So betont etwa der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass der Bericht „nicht die Arbeit der Troika an sich kritisiert“, sondern allein ihre Intransparenz und fehlende Rechenschaftspflicht. Durch die Schaffung eines EWF könnten diese Probleme abgebaut werden. Das die Einführung des EWF jedoch nicht automatisch ein Mitbestimmungsrecht für das Europäische Parlament mit sich bringt, übersieht der Bericht. Vielmehr ist die Ausklammerung des Parlaments bei wichtigen austeritäts- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen allgemeine Praxis. So hat das Parlament bei der Wettbewerbspolitik und in einigen Bereichen der gemeinsamen Handelspolitik lediglich ein Anhörungsrecht.

Dass das Europäische Parlament, selbst bei bürgerlichen Beobachtern, bis heute nicht als vollwertiges Parlament betrachtet wird, liegt vor allem an seinem stark eingeschränkten Gestaltungsspielraum. Durch das Fehlen eines Initiativrechts kann es selbst keine Gesetzesvorschläge in den Rechtssetzungsprozess der Europäischen Union einbringen. Gleichzeitig können Verordnungen und Richtlinien, welche durch das Parlament beschlossen worden, noch durch den Rat gestoppt werden. Das also derzeit Angela Merkel an jedem zweiten Baum hängend für die Wahlen zum Europäischen Parlament am 25. Mai wirbt, ist somit sehr beschreibend für die Machtverhältnisse und der Stellung der einzigen direkt gewählten Institution in der Europäischen Union. Daran werden auch nicht die Kompetenzerweiterungen durch den Vertrag von Lissabon etwas ändern, da diese sich hauptsächlich auf eine Ausweitung von Politikbereichen (Energie, Gesundheit etc.) beziehen und dem Parlament Mitsprache bei den Haushaltverhandlungen der EU geben. Dass es sich gerade bei letzterem nur um Mitsprache handelt, haben die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014 – 2020 gezeigt. In denen konnte das Parlament zwar kleinere Erfolge erzielen, musste jedoch die vom Rat festgesetzte Rahmenhöhe von 960 Milliarden Euro akzeptieren, was letztendlich einer Budgetkürzung durch den Rat gleichkam. hnlich wird es wohl auch bei der vielbeworbenen Wahl des Kommissionspräsidenten sein. Zwar schreibt der Vertrag von Lissabon vor, dass das Parlament den Präsidenten der Europäischen Kommission wählt, jedoch ist es der Europäische Rat, der den Kandidaten für das Präsidentenamt vorschlägt. Auch wenn dieser Vorschlag die Ergebnisse der Europawahlen berücksichtigen muss, heißt das noch lange nicht, dass der Rat die, von den europäischen Parteien vorgeschlagenen, Kandidaten, auch als Präsidentschaftskandidaten auswählt. Vielmehr zeichnet sich jetzt schon ab, dass die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, allem voran Angela Merkel, sich ihr Recht, den Kommissionspräsidenten nicht nehmen lasse werden[3].

Mit Wahlen verhindern…

Trotzdem muss das Europäische Parlament als wichtiger Stützpunkt für emanzipatorische Bewegungen und Initiativen auf der Ebene der EU angesehen werden. Denn während bei der Europäischen Kommission, aufgrund ihrer strukturellen Selektivität, vor allem Vorschläge transnationaler Kapitalfraktionen Gehör finden, können sich in der Politik des Europäischen Parlamentes auch NGOs oder die Gewerkschaften einschreiben. Denn auch wenn das Parlament in einigen Bereichen keine Mitspracherechte hat, so benötigen viele Gesetzesinitiativen die Zustimmung des Europäischen Parlaments, womit die Möglichkeit gegeben ist, neoliberale Vorhaben abzuschwächen oder zu verhindern. So konnte beispielsweise in der letzten Legislaturperiode die Aushebelung des Streikrechtes durch die Einführung eines sogenannten „Mindestdienst“ in der Bahnliberalisierung durch das Europäische Parlament verhindert werden. Dies zeigt, dass das Parlament, trotz seiner politischen Ohnmacht in vielen Bereichen, zumindest als „Verhinderungsparlament“ ernstgenommen werden sollte.

… und auf der Straße verändern!

Dennoch ist es aufgrund seiner institutionellen Schwäche nicht in der Lage wirkliche Veränderungen, geschweige denn eine Neugründung der EU voranzutreiben. Vielmehr werden es die Kämpfe und Proteste sein, welche über grundlegende Veränderungen der EU entscheiden werden. Die Antwort auf die Frage, in welchem Europa wir leben wollen, wird daher nicht im Europäischen Parlament, sondern auf den Straßen Europas erkämpft.

Fußnoten      

[1] Konkret seit der Verabschiedung der Verordnung 472/2013. (vgl. ak 574, S.11)

[2] VSKS Art. 8 Abs. 2

[3] So betonte etwa Angela Merkel immer wieder, dass es keinen „Automatismus“ geben dürfen, d.h. nicht jeder Kandidat automatisch Kommissionspräsident werden kann. Wer Präsident wird, muss ihrer Meinung nach eine Entscheidung zwischen dem Parlament und des Rats sein, d.h. die Staats- und Regierungschefs schlagen den Kandidaten vor und das Parlament stimmt diesem Vorschlag zu.

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Kein Comeback in Sicht: Eine Antwort auf Hans-Jürgen Urbans Thesen zur Rolle der deutschen Gewerkschaften in der Krise

Artikel von von Nikolai Huke und Felix Syrovatka*,erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 03-04/2014

Glaubt man ihrer Selbstdarstellung, feiern die deutschen Gewerkschaften in den vergangenen Jahren ein relativ erfolgreiches Comeback. Exemplarisch dafür steht Hans-Jürgen Urbans (IG Metall) Feststellung, die Gewerkschaften hätten sich als Krisenmanager bewährt und signifikante Beiträge zur Sicherung von Branchen und Beschäftigung geleistet, keineswegs selbstverständliche Defensiverfolge erzielt und Fortschritte bei der eigenen Revitalisierung und Erneuerung gemacht (vgl. Urban 2013). Urbans These vom Comeback der deutschen Gewerkschaften wurde seither in einer Reihe von Beiträgen aufgegriffen (vgl. Schmalz/Dörre 2013). Im Folgenden wird in vier Thesen argumentiert, dass sich die Gewerkschaften entgegen dieser Sichtweise nach wie vor strategisch wie organisationspolitisch in der Defensive befinden.

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Warum Marburg?

Das Institut für Politikwissenschaften der Philipps-Universität Marburg bat mich kurz vor meinen Abschluss in Marburg, einen kurzen Text zu schreiben, warum ich eigentlich in Marburg Politik studiert habe? Warum ich nach Marburg gekommen bin, Was mir am Institut gefallen hat und wie meine Zukunft nun aussieht. Auf der Seite des Instituts könnt ihr meine Antwort lesen.

Nachtrag: Schade ist, dass sich sonst niemand von den kritischen Studis dazu durchringen konnte, ein kleines Portrait zu schreiben. Immerhin war es eine Chance, die kritischen Errungenschaften des Instituts, wie etwa die FEI, zu würdigen.