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Wende bei den Präsidentschaftswahlen?

Der #PenelopeGate erschüttert den französischen Präsidentschaftswahlkampf. Der Spitzenkandidat der konservativen Partei „Les Republicans“, Francois Fillon, hat jahrelang seine Frau als parlamentarische Assistentin beschäftigt, ohne dass sie jemals politisch für ihn gearbeitet hätte. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Francois Fillon wegen Veruntreuung von Staatsgeldern. Ein politischer Skandal ohne Gleichen. Zugleich wurde heute bekannt, dass die rechtsradikale Spitzenkandidatin Marine Le Pen rund 350.000€ an das Europaparlament zurückzahlen muss. Sie hatte über mehrere Jahre parlamentarische Assistenten auf Kosten des EPs beschäftigt – jedoch nicht in Brüssel, sondern in der Parteizentral der Front National.

Während der Skandal Marine Le Pen bisher nicht wirklich geschadet hat, scheint der #PenelopeGate für Francois Fillon ein herber Schlag zu sein. Die Zeitungen sind voll von Kommentaren, die Medien berichten über kaum etwas anderes und Fillon selbst ist nun in der Bringschuld. Es ist sogar möglich, dass ihn dieser Skandal die sichergeglaubte Präsidentschaft kosten wird. Denn seit einiger Zeit sinken seine Umfrageergebnisse, während der ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron ihm zunehmend im Nacken sitzt. Macron, politischer Quereinsteiger mit Saubermannimage, wird von diesem Skandal profitieren. Zudem wird Macron am kommenden Sonntag die wahrscheinliche Wahl von Benoît Hamon in den Vorwahlen der Sozialisten weitere Stimmen zuspielen. Er könnte somit bei den nächsten Umfragen an Fillon vorbeiziehen.

Damit birgt der #PenelopeGate die Möglichkeit einer zentralen Wende im Präsidentschaftswahlkampf in sich. Und dem wo möglichen Ende der zwei großen französischen Volksparteien. Denn mit Emmanuel Macron und Marine Le Pen wären dann zwei KandidatInnen in der zweiten Runde, die weder durch die Konservativen noch durch die Sozialisten nominiert wurden. Es wäre eine politische Revolution. Zudem wäre es ein Duell zwischen den „neuen gesellschaftlichen Konfliktlinien“ (WZB-Mitteilungen) Kommunitarismus und Kosmopolitismus.

Noch sind es aber knapp 3 Monate bis zur ersten Runde und bis dahin kann noch eine Menge passieren. Dennoch wird Fillon diesen Skandal nicht so schnell unvergessen machen können. Er wird auf jeden Fall Feder lassen müssen, was ein Duell Macron vs. Le Pen in der zweiten Runde wird damit auf jedoch wahrscheinlicher.

Bild: UMP/ CC-Lizenz Flickr.com

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Vorwahlen in der PS: Flügelkampf

Heute fand in Frankreich die erste Runde der Vorwahlen der Sozialistischen Partei statt. Knapp 1,5 bis 2 Millionen Menschen beteiligten sich an den parteioffenen Vorwahlen. Dabei setzte sich überraschenderweise ein Vertreter des linken Flügels Benoît Hamon (36%) sowohl gegen den ehemaligen Premierminister Manuel Valls (31%) als auch gegen den deutlich bekannteren Arnaud Montebourg (17%) durch. Daher wird er am nächsten Wochenende gegen Manuel Valls in die Stichwahl gehen, hat jedoch sehr große Chance der Kandidat der Sozialistischen Partei zu werden. Denn Arnaud Montebourg hat schon kurz nach der ersten Runde zur Wahl seines Freundes Benoît Hamon aufgetrufen.

Benoît Hamon war unter Francois Hollande Bildungsminister, wurde nach Kritik am Kurs der sozialistischen Regierung zurückgetreten. Er steht für den linken Flügel der Partei um Christian Paul und war nach seinem Rücktritt in Opposition zur PS-Regierung. Zu seinen Forderungen gehört u.a. ein bedingungsloses Grundeinkommen von 750€, eine hohe Vermögenssteuer sowie Reduktion der 35-Stunden-Woche auf 32 Stunde.

Jedoch scheint es fraglich, ob Hamon bei den Präsidentschaftswahlen überhaupt eine Rolle spielen wird. Derzeit scheint alles auf einen Drei- bzw. Vierkampf hinauszulaufen. Während der Kandidat der Republikaner Fillon in jüngsten Umfragen mit 26% knapp vor Marine Le Pen (24%) führt, hat sich in den letzten Wochen v.a. der ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron (23%) auf dem dritten Platz etabliert und liegt nur noch sehr knapp hinter Francois Fillon. Der Kandidat der Linksfront kommt nicht über seine 15% hinaus. Benoît Hamon werden in Umfragen gerade einmal 5% vorhergesagt.

Dennoch hat dieses Ergebnis eine wichtige Signalwirkung für die Sozialistische Partei und es deutet viel daraufhin, dass dort nun eine Kräfteverschiebung stattfindet. Hamon und Montebourg haben zusammen mehr als 50% der Stimmen bekommen, was doch für beide ein beeindruckendes Ergebnis ist. Die letzten Etappensiege des linken Flügels auf den letzten Parteitagen sprechen ebenfalls dafür. Mehr über die PS und ihren Niedergang habe ich vor kurzem in einem Artikel für die LuXemburg geschrieben.

Bild: Partie Socialiste/ Flickr.com

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Allgemein Artikel Meinung

Wo ist das Kräfteverhältnis?

Der Artikel erschien am 08. Januar 2014 als Debattenbeitrag im Neuen Deutschland.

Thomas Händel und Frank Puskarev schreiben in ihrem Artikel „Ein sozialistisches Europa?“  vom 26.12.2013 einen kurzen Abriss über die „Europa-Debatte“ in der europäischen Linken. Dabei handeln sie historisch nacheinander verschiedene AkteurInnen dieser Debatte, von Kautsky bis Spirelli , von Habermas bis Huffschmidt ab. Im letzten Abschnitt schlagen die beiden Autoren vor, sich von einer reinen reaktiven Kritik am Krisenmanagement der Europäischen Union zu verabschieden und stattdessen ein „gemeinsames europäisches Alternativprojekt zu formulieren“.

Wie dieses scheinbar „alternative“ Projekt aussehen soll, schieben die beiden Autoren sogleich auch hinter her und skizzieren kurz eine „Konzeption für ein kooperatives, solidarisches Europa“, welche stark an sozialdemokratischen Vorstellungen erinnert. Weder wird die Eigentumsfrage gestellt, noch ist von einer Neugründung Europas die Rede. Vielmehr entpuppt sich dieses, von Händel und Puskarev vorgeschlagene, „Alternativprojekt“, als ein Reformvorschlag für die real existierende Europäische Union, welcher offenbar zur Umsetzung nur noch formuliert werden muss. Dabei übersehen die beiden Autoren nicht nur die jüngsten Diskussionen über ein „Europa von unten“, wie sie derzeit in der europäischen Bewegung gegen die Krisenpolitik der EU geführt werden, sondern auch das reale Kräfteverhältnis in der Europäischen Union. Es reicht daher für die Formulierung eines Alternativprojektes nicht aus, sich ausschließlich auf die Klassiker sozialistischer und sozialdemokratischer Europadiskussion zu beziehen, sondern es benötigt vielmehr eine Analyse der Kräfteverhältnisse auf der europäischen Ebenen und einen Blick auf die Geschichte der Europäischen Union.

Die EU als Elitenprojekt verstehen

Der europäische Integrationsprozess war von Anfang ein Elitenprojekt. Nach dem zweiten Weltkrieg waren es europäische und US-amerikanische Eliten aus dem ökonomischen und politischen Bereich, wie etwa der Politiker Jean Monnet oder das Netzwerk „American Europeanists“ , welche den Integrationsprozess fokussierten und verfolgten.  Mit dem Ende der „Euroskleorose“ (Deppe) und dem Scheitern der keynesianisch-korporatistischen Integrationsweise, Mitte der 1980er Jahre, entwickelte sich die Europäische Gemeinschaft (EG) zu einem wichtigen Stützpunkt europäisierter und transnationalisierter Kapitalfraktionen, was sich in der „wettbewerbsstaatlichen Integrationsweise“ (Ziltener) und der Durchsetzung eines europäischen neoliberalen Hegemonieprojektes äußerte. Netzwerke wie der European Round Tabel of Industrials, der sich aus Repräsentanten der 50 führenden europäischen Industriekonzernen zusammensetzte, waren federführend an den wichtigsten europäischen Projekten, wie etwa dem Binnenmarktprojekt beteiligt. Dies führte dazu, dass europäische und transanationale Institutionen und Organisationen, wie der EuGH, die Europäische Kommission oder europäische Agenturen wie FRONTEX etc. deutlich an Bedeutung gewonnen haben, während gleichzeitig Institutionen wie das Europäische Parlament im Institutionenensemble der EU eine nachgeordnete, marginale Rolle spielen und sich eine wirkliche europäische Zivilgesellschaft im Sinne Gramscis sich nicht herausbilden konnte. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die europäische Ebene aufgrund ihrer Konstruktion eine starke strukturelle Selektivität für europäisierte Kapitalfraktionen aufweist, d.h. Vorschläge dieser Kapitalfraktionen mehr Gehör finden und sich dieser angenommen werden als andere. Gewerkschaften und NGOs können oftmals ihre Interessen nur vermittelt über die nationalen Regierungen in der EU äußern, womit ihnen mit der europäischen Ebene ein wichtiges Kampffeld fehlt.

Kräfteverhältnisse analysieren

Der Vorschlag eines „Alternativprojektes“ von Händel und Puskarev übersieht zudem die Ergebnisse der jüngeren kritischen Europaforschung, wie sie etwa in der Forschungsgruppe Europäische Union in Marburg oder die Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ in Frankfurt zu Tage gefördert wurden. Diese lassen erkennen, dass sich die neoliberale Integrationsweise in der Krise vielmehr verschärft und autoritär zugespitzt hat. Wichtige wirtschaftliche und politische Kompetenzen, welche auf der nationalen Ebene durch demokratisch gewählte Parlamente ausgeübt wurden, sind im Zuge der Krisenpolitik an die europäische Ebene abgegeben worden und werden nun in demokratisch nicht legitimierten Institutionen, wie etwa der Europäischen Kommission verhandelt. Gleichzeitig werden durch die Austeritätspolitik der EU die Gewerkschaften in den Mitgliedsländern geschwächt, die Mindestlöhne gesenkt und die Tarifautonomie geschleift. Der Gewerkschaftsforscher Thorsten Schulten spricht gar von einem „neuen europäischen Interventionismus“ der EU in die nationale Tarifpolitik zur Ungunsten der Lohnabhängigen und Lukas Oberndorfer von der Arbeiterkammer in Wien sieht in der aktuellen Krisenpolitik der EU eine „Radikalisierung des neoliberalen Projekts“  in der die Wettbewerbspolitik autoritär durchgesetzt und institutionell verankert wird.

Interessant ist dabei, dass vor allem jene Volkswirtschaften betroffen sind, in denen das nationale Kräfteverhältnis eine neoliberale Umstrukturierung in dieser Form in Vorkrisenzeiten verhindert hätte. Dadurch werden die Handlungsmöglichkeiten für die Subalternen, ihre Interesse auf der europäischen Ebene zu artikulieren noch weiter eingeschränkt, da die Krisenpolitik der EU auch in die Kräfteverhältnisse in den Mitgliedsstaaten eingreift. Die Krisenbearbeitung durch die europäischen Eliten ist dabei allein auf die Wettbewerbsfähigkeit des europäisierten und transnational orientierten Kapitals ausgerichtet und verfolgt hauptsächlich den Umbau der nationalen Volkswirtschaften zu Exportwirtschaften (vgl. Streeck).

Ein „Alternativprojekt“, was eine Reform der Europäischen Union im sozialdemokratischen Sinne vorschlägt, übersieht genau dieses verfestigte und institutionell auf europäischer Ebene abgesicherte Kräfteverhältnis. Die Institutionen der EU sind vielmehr zu stark vermachtet und die neoliberale Ausrichtung in den europäischen Verträgen (bspw. Lissabon-Vertrag) festgeschrieben, als das eine sozialdemokratische Reform der EU möglich wäre. Ein gegen-hegemoniales Projekt muss vielmehr aus der fragmentierten europäischen Zivilgesellschaft, d.h. aus den verschiedenen Bewegungen und Kämpfen heraus entwickelt werden, welche die beiden Autoren ebenso übersehen.

„Europa von unten“

Es muss den beiden Autoren zugestimmt werden, dass die europäische Linke nicht in einer reaktiven Kritik der europäischen Austeritätspolitik stehen bleiben darf. Das „Staatsprojekt Europa“ (Kannankulam) steht zur Disposition und somit ist der Diskurs über die Zukunft Europas wirkungsmächtig und für die Artikulation von Hegemonieprojekten offener den jemals zuvor. Dieses „gegen-hegemoniale Projekt“ (Gramsci) darf dabei nicht auf eine Reformierbarkeit der real existierenden Europäischen Union hoffen, sondern sollte klar für eine Neugründung Europas von unten forcieren und eine andere europäische Politik der Menschen in den Vordergrund stellen. Die Diskussionen über einen konstituierenden Prozess wie sie derzeit v.a. in Spanien geführt werden, können dafür ein Anfang sein. Dort werden die verschiedenen Forderungen nicht an die staatlichen Institutionen oder an die politischen und ökonomischen Eliten gerichtet, sondern im Gegenteil ein Prozess gestartet, welcher die Schaffung einer „“echten Demokratie“ (Abensour) anstrebt.

Ein gesamteuropäischer Diskurs für ein Europa von unten benötigt jedoch eine gemeinsame Begegnung und eine stärkere Vernetzung von Bewegung, Parteien und Gewerkschaften auf europäischer Ebene. Dabei können die Vernetzungen im Zuge des Blockupy-Protestes sowie die gemeinsamen europäischen Aktionstage, am 01.06.2013 oder auch der gemeinsame südeuropäische Generalstreik im November 2012, als erste Erfolge gewertet werden. Dabei müssen die verschiedenen Bewegungen und Forderungen in Europa gebündelt und europäpisch „gewendet“ werden.

Dafür scheint sich das Aktionsfeld „Wohnraum“ anzubieten. Seit Beginn der europäischen Krise sind die Protestbewegungen für bezahlbaren Wohnraum und gegen Zwangsräumungen in ganz Europa stark gewachsen. Gerade in Spanien stellt die „Plataforma de los Afectadas por la Hipoteca“ einen der Hauptakteure im Kampf gegen die Politik der Troika und der nationalen Regierung dar. Und auch in Deutschland, können die Bewegungen gegen Zwangsräumung, etwa in Berlin oder Hamburg, erste große Mobilisierungserfolge für sich verbuchen. Gleichzeitig ist dieses Thema offensichtlich kein nationales oder regionales Thema, sondern stark mit der europäischen Finanzmarktintegration sowie der aktuellen Krise verbunden. In allen großen Metropolen der EU sehen sich die BewohnerInnen enormen Mieterhöhungen und Zwangsräumungen ausgesetzt, wobei der Klassencharakter dieser strukturellen Aufwertungsprozesse stark und offensichtlich hervortritt. Damit ist der Konflikt um bezahlbaren Wohnraum auch diskursiv und medial vermittel- und mit der europäischen Austeritätspolitik verknüpfbar. Ein erster Schritt wäre dabei eine direkte Bezugnahme auf die Kämpfe in anderen europäischen Mitgliedsstaaten oder ein gemeinsamer europäischer Aktionstag zur Verhinderung von Zwangsräumungen. Langfristig besitzt das Thema das Potenzial als Bezugspunkt für andere Kämpfe, bspw. Reproduktionskämpfe oder Energiekämpfen zu dienen. Auf lange Sicht muss es daher das Ziel sein, einen Prozess zu starten, in der die Neugründung Europas auf der Tagesordnung steht.

 

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Eine Zukunft für die EU?

Auf dem WSI-Herbstforum im Dezember 2016 gab es ein spannendes Panel zur Frage der Zukunft der EU und wie ein soziales und demokratisches Europa aussehen kann. Diskutiert haben Prof. Dr. Martin Höpner vom Max-Plank-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und Prof. Dr. Hans-Jürgen Bieling von der Universität Tübingen. Das gesamte Streitgespräch mitsamt Zuschauerfragen kann nun online abgerufen werden. Zum Thema der Diskussion ist das WSI-Woking-Paper 207 von Daniel Seikel empfehlenswert.

Bildquelle: _TC Photography_/Flickr CC-Lizenz 2.0

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Rückkehr nach Reims?

Frankreichs Sozialdemokratie im Freien Fall

Die Sozialistische Partei ist zerrissen wie nie. Ihre aktuelle Situation erinnert an das Jahr 2008, als auf dem Parteitag in Reims der innerparteiliche Machtkampf eskalierte. Vorausgegangen war eine jahrelange Auseinandersetzung zwischen dem sozialliberalen und dem linkssozialistischen Flügel. Diese erreichte ihren Höhepunkt 2005: Der linke Flügel um Henri Emmanuelli und Jean-Luc Mélenchon sprach sich entgegen der offiziellen Parteilinie für eine Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrages aus, suchte den Schulterschluss mit der Kommunistischen Partei (PCF) und anderen linken Organisationen und mobilisierte gegen die eigene Parteiführung um den damaligen Parteivorsitzenden Fran- çois Hollande für ein Nein beim Referendum (vgl. Bell/Criddle 2014, 184ff). Die inhaltliche wie personelle Spaltung der französischen Sozialdemokratie trat offen zutage. Auf dem Parteitag in Reims traten Teile des linken Flügels aus und gründeten die französische Linkspartei Parti de Gauche (PdG).

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Bildquelle: Parti socialiste/ Flickr. Der Artikel erschien in der LuXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis. Nr. 3/2016. auf Seite 30 – 37. Der Text kann online als PDF heruntergeladen werden.

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Die lachende Dritte?

Waren die Vorwahlen der Rechten die eigentlichen Präsidentschaftswahlen? François Fillon liegt in den Umfragen vorn. Doch das Kandidatenfeld ist noch nicht vollständig und die Rechnung enthält noch zu viele Unbekannte.

Was für eine Überraschung? Nein eigentlich nicht, auch wenn kaum ein Beobachter geglaubt hätte, dass sich der ehemalige Premierminister François Fillon bei den Vorwahlen der bürgerlichen Rechten in Frankreich durchsetzen wird. Dies lag nicht nur an den Umfragen im Vorfeld, sondern auch an der Polarisierung innerhalb der konservativen Partei. Zu stark repräsentierten Alain Juppé und Nicolas Sarkozy ihren wirtschaftsliberalen bzw. wertkonservativen Parteiflügel, so dass François Fillon in der öffentlichen Wahrnehmung dahinter verschwand. Dabei vertritt gerade er programmatisch beide Fraktionen innerhalb der bürgerlichen Rechten. Sein politisches Programm ist eine Mischung aus marktliberalen und wertkonservativen Ideen und Positionen.

So plant Fillon auf der einen Seite den französischen Sozialstaat weiter kaputtzusparen und Arbeitnehmerrechte zu schleifen. Im Wahlkampf hatte Fillon eine Schockstrategie für die französische Wirtschaft angekündigt und den Gewerkschaften gedroht, sie in ihren Mitsprachrechten zu beschneiden. Als zentrale Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit hat er die fehlende Wettbewerbsfähigkeit ausgemacht, die durch hohe steuerliche Entlastungen für Unternehmen sowie eine vollständige Abschaffung der 35-Stunden-Woche wiederhergestellt werden soll. Die Arbeitslosenversicherung soll nach dem Vorbild der deutschen Hartz-Gesetze reformiert werden, um Langzeitarbeitslosigkeit »unattraktiver« zu machen. Zudem möchte der ehemalige Premierminister die Vermögenssteuer abschaffen und das Rentenalter für alle Berufsgruppen auf 65 Jahre hochsetzen. Das Gesundheitssystem soll reformiert und Leistungen der allgemeinen Krankenversicherung auf die Hauptrisiken konzentriert, das heißt um wichtige Leistungen gekürzt werden. Die heutige Gesundheitsministerin Marisol Touraine spricht von Mehrkosten in Höhe von 3200 Euro für jeden Versicherten pro Jahr, sollte der Vorschlag Fillons in die Tat umgesetzt werden. Zudem soll der »überbürokratisierte Staat« entschlackt und mehr als 100 Milliarden Euro an staatlichen Ausgaben eingespart werden.

Auf der anderen Seite vertritt er ein reaktionäres Familien- und Gesellschaftsbild. Als bekennender Unterstützer der homophoben Bewegung Manif pour tous fordert er in seinem Wahlprogramm die Beschränkung der Ehe für alle und die Rücknahme des Adoptionsrechts für Homosexuelle. Einwanderung möchte er stark begrenzen und soziale Leistungen für Asylbewerber einschränken. Sein größtes Thema ist jedoch der Kampf gegen den Islam und die Erhaltung der »christlich-jüdischen Wurzeln und Werte« der eigentlich laizistischen französischen Republik. Schon in seiner Zeit als Premierminister unter Nicolas Sarkozy war Fillon immer wieder mit islamophoben Äußerungen aufgefallen.

Wird so ein Mann nun der neue Präsident Frankreichs, wie viele Medien heute schon spekulieren? Waren die Vorwahlen der Rechten die eigentlichen Präsidentschaftswahlen? Vieles spricht dafür. Trotz der zahlreichen programmatischen Überschneidungen mit dem Programm des rechtsradikalen Front National liegt der konservative Kandidat in aktuellen Umfragen für den ersten Wahlgang mit zwei Prozentpunkten (26 %) vor Marine Le Pen. In der zweiten Runde würde er klar gegen Le Pen gewinnen (67 % und 33 %). Doch allein der Überraschungssieg von François Fillon bei den Vorwahlen sollte einen vorsichtig werden lassen. Denn auch in diesem Fall wird die Rechnung nicht ohne den Wirt gemacht und viele Variablen in dieser Rechnung scheinen heute noch unbekannt.

… und die Sozialdemokraten

So ist etwa das Kandidatenfeld noch lange nicht vollständig. Die Sozialdemokratie wird erst im Januar ihren Kandidaten in eigenen Vorwahlen bestimmen. Auch wenn Umfragen auf Präsident François Hollande oder Premierminister Manuel Valls hindeuten, könnte die Wahl eines linken Kandidaten wie etwa Arnaud Montebourg oder Benoît Hamon die Wahlen noch einmal spannend machen. Nicht vergessen werden darf zudem der Kandidat der Linksfront. In Umfragen rangiert Jean-Luc Mélenchon bei 13 bis 15 Prozent und scheint für viele Linke derzeit der einzige wählbare Kandidat zu sein. Seine Aussichten auf den Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen hängen jedoch davon ab, welchen Kandidaten die Sozialdemokraten aufstellen und ob die Kommunisten ihn unterstützen werden.

Ebenso schwer einzuschätzen ist das politische Potenzial des ehemaligen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron, der im November seine Kandidatur bekannt gegeben hat. Tausende kommen zu den Treffen seiner Bewegung En Marche! und er selbst gehört trotz der neoliberalen Reformen zu den beliebtesten Politikern des Landes. Seine Chancen hängen letztlich davon ab, welche und wieviel politische Unterstützung er mobilisieren kann. Derzeit spricht vieles dafür, dass der Zentrist François Bayrou zugunsten des ehemaligen Investmentbankers auf eine Kandidatur verzichten wird. Emmanuel Macron, dem derzeit in Umfragen 13 bis 15 Prozent der Stimmen vorhergesagt werden, repräsentiert ein (neo-)liberales und kosmopolitisches Frankreich und damit den programmatischen Gegenentwurf zu Marine Le Pen. Sollte es – worauf vieles hindeutet – im Wahlkampf zu einer Polarisierung zwischen kosmopolitischen und nationalprotektionistischen Gesellschaftsentwürfen kommen, so könnte Emmanuel Macron neben sozialdemokratischen und liberalen WählerInnen auch viele gemäßigte Konservative ansprechen.

Und hier liegt die zweite unbenannte Variable, die einen Sieg von François Fillon gefährden könnte. Denn wenn Fillon Präsident werden will, muss er nicht nur vier Millionen Konservative überzeugen, sondern mindestens 51 Prozent der 44 Millionen Wahlberechtigten. Doch dafür ist zumindest im zweiten Wahlgang die Zustimmung der politischen Linken nötig. Diese zu gewinnen, wird deutlich schwerer werden als noch 2002, als die politische Linke sich kollektiv überwand, den Konservativen Jacque Chirac zu wählen, um Jean-Marie Le Pen zu verhindern. Anders als Chirac jedoch stellt François Fillon für viele Linke heute nicht das kleinere Übel zu Marine Le Pen dar. Selbst für einen Großteil der Sozialdemokratie ist der konservative Kandidat nur schwer wählbar. Viele Linke und Gewerkschafter haben bereits angekündigt, bei einem möglichen Duell zwischen Fillon und Le Pen der Wahlurne fern zu bleiben. Ausschlaggebend dafür sind nicht nur die zahlreichen programmatischen Überschneidungen mit dem Front National. Vielmehr ist es sein ökonomisches Programm, das eine Kampfansage an die Gewerkschaften und die Errungenschaften der französischen Arbeiterbewegung ist.

Die lachende Marine Le Pen

Die lachende Dritte könnte daher Marine Le Pen sein, welche vom Ergebnis der Vorwahlen profitiert. Durch einen nationalkonservativen Kandidaten wie Fillon wird sich der öffentliche Diskurs in Frankreich weiter nach rechts verschieben und gesellschaftspolitische Forderungen des Front National werden enttabuisiert. Bisher konnte der Front National von einem Rechtsschwenk der Konservativen immer profitieren. Zudem stellt Fillon und sein neoliberales Programm genau jenen Typ Politiker dar, von dem ein Großteil der Bevölkerung schon lange nichts mehr erwartet. Als ehemaliger Premierminister unter Nicolas Sarkozy und langjähriger Parteifunktionär der UMP ist er tief mit jenem politischen System verwoben, das von mehr als 83 Prozent als korrupt und dysfunktional abgelehnt wird. Vor allem aber sein ökonomisches Programm wird viele WählerInnen zweifeln lassen, wem sie ihre Stimme in der Stichwahl geben sollen. Vor allem die verunsicherten Mittelschichten und Teile der Arbeiterklasse, die jetzt schon stark mit dem Front National sympathisieren, könnten sich mittelfristig für Marine Le Pen entscheiden. Dies weiß auch Marine Le Pen, die schon kurz nach den Vorwahlen François Fillon scharf angriff und sein Wahlprogramm als Sozialkahlschlag bezeichnete.

Bildquelle: UMP/Flickr. Der Artikel erschien am 06.12.2016 auf dem OXI-Blog.